TMEGEN
Genealogische Datensammlung

Quelle: Deutsches Geschlechterbuch, Schwaben 9, Band 170, 1975, C.A. Starke Verlag, Limburg an der Lahn, Seite 297

Andreas Osiander

Der Reformator

F. Blum, Heilbronn 1935



Als im 15. Jahrhundert die klassischen Studien wieder aufblühten, haben zahlreiche Gelehrte ihre deutschen Familiennamen in lateinische oder griechische Gelehrtennamen verwandelt. Philipp Schwarzerd aus Bretten, Luthers Mitarbeiter, der Organisator des protestanitischen Bildungswesens nannte sich Melanchthon; Michael Neumann, Melanchthons Schüler, einer der grossen evangelischen Pädagogen des 16. Jahrhunderts, nahm den Namen Neander an, Michael Schütz, Professor und „poeta laureatus“ in Tübingen, nannte sich mit dem entsprechenden griechischen Wort Toxites, ein anderer Schütz, kursächsischer Hofprediger, mit dem latainischen Sagittarius. Der Sohn des Schmiedmeisters Köpflin in Hagenau, Wolfgang Köpflin, der in Strassburg für die Sache der Reformation wirkte, führte gar nach dem Vorbild der alten Römer zwei lateinische Namen, Fabricius Capito. Andere gaben wenigstens ihrem deutschen Namen eine lateinische Endung. So Johann Brenz von Weilderstadt, der württembergische Reformator; er hiess Johannes Brentius, Hans Maier aus Eck im Allgäu, Luthers gefährlicher Gegner nannte sich nach seinem Geburtsort Johannes Eckius

Auf diese Weise ist auch der Name Osiander entstanden als Übersetzung oder Umbildung eines deutschen Namens in das Griechische. Der zweite Teil des Wortes bedeutet „Mann“, wie in Xylander = Holzmann, Drynander = Eichmann, Chrysander = Goldmann.

Den ersten deuten die einen als Übersetzung des Wortes heilig in das Griechische, Osiander also als Hosiander = Heiligmann. Andere sehen darin nur eine äusserliche Angleichung an das Griechische, da der ursprüngliche Familienname Hosmann gewesen sei.

Wie dem auch sei, eine abschliessende Behandlung der Frage liegt noch nicht vor, der erste geschichtlich bedeutende und zugleich menschlich fassbare Träger dieses Namens ist Andreas Osiander, der Reformator Nürnbergs.


Ihn wollen wir im folgenden näher betrachten.


Geboren wurde Andreas Osiander gegen Ende des 15. Jahrhunderts in dem ehemaligen Fürsten-tum Anspach. Er stammte aus einer Handwerkerfamilie. Sein Vater Andreas war Schmiedmeister und Ratsmann in Gunzenhausen an der Altmühl; er war mit Anna geb. Herzog verheiratet. Der Sohn nennt seine Eltern Leute von geringem Stande und ohne literarische Bildung, aber von nicht gewöhnlicher Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, so dass er unter ihrem Einfluss und gleichsam mit der Muttermilch eine besondere Liebe zum göttlichen Wort und den biblischen Schriften eingesogen habe.

Seine Vorbildung erhielt er auf den Lateinschulen in Leipzig und Altenburg, wo er, wie Luther in Eisenach, mit andern Schülern vor den Türen der Häuser „Currende“ sang. Dann widmete er sich an der Universität Ingolstadt Sprachlichen Studien. Neben den beiden klassischen Sprachen beschäftigte er sich mit den orientalischen, besonders mit dem Hebräischen. Vor allem aber vertiefte er sich mit leidenschaftlichem Eifer in die Lektüre der hl. Schrift. Eigentliche theologische Studien hat er jedoch nicht gemacht. Spätestens 1519 wird er aus den Streitschriften seines Lehrers, des Ingolstadter Professors Eck, auf Martin Luther aufmerksam geworden sein. Er verliess die Universität, wir wissen nicht, aus welchem Grunde, und begab sich in seine Heimat und von da nach Nürnberg.

Hier empfing er die Priesterweihe und wurde Lehrer der Hebräischen Sprache am Augustinerkloster (1520), in eben dem Jahre, in dem Luther als Offenbarungen seines tiefen religiösen Gefühls jene grossen reformatorischen Schriften ausgehen liess, die in ihrer einfachen und natürlichen Sprache allenthalben in Deutschland gelesen und besprochen wurden. In der alten Reichsstadt neigte man von Anfang an den reformatorischen Gedanken zu. Die neue Lehre drang hier in alle Kreise der Bevölkerung, sie ergriff nicht nur die Studierten, sondern auch die Handwerker und kleinen Leute. Hans Sachs begrüsste das Auftreten Luthers in seinem Gedicht „Die wittenbergisch nachtigall, die man jetzt höret überall“:


„Wach auff! Es nahent gen dem tag,

Ich hör fingen im grünen hag

Ein wunigklich nachtigall.

Jr stim durchklinget berg und thal“


Andreas Osiander war einer der ersten, der die neuen Ideen in sich aufnahm und verarbeitete. Mit Zustimmung des Magistrats wurde er im März 1522 zum Prädikanten an der St. Lorenzkirche berufen. In seinen Predigten griff er den päpstlichen Primat, die Papstkirche, das Messopfer heftig an, er teilte auch das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt aus, u.a. an die Königin Isabella von Dänemark, eine Schwester Kaiser Karls V. Im Jahre 1523 war der Hochmeister des Deutschen Ordens, Abrecht Markgraf von Brandenburg-Ansbach, in Nürnberg, um von den versammelten Ständen den Schutz des Reiches gegen die Polen zu erbitten. Die Predigten Osianders machten auf ihn einen grossen und nachhaltigen Eindruck, wie denn überhaupt seine Persönlichkeit offenbar etwas Imponierendes und Faszinierendes hatte. Der Hochmeister nahm die hl. Schrift selbst in die Hand und gewann die Überzeugung, dass sein Stand als Ordensritter dem göttlichen Worte nicht entspreche. Er verwandelte bald darauf, indem er mit seinem Orden aus der alten Kirche austrat, das geistliche Ordensland Preussen in ein weltliches Herzogtum.

Bei aller Selbständigkeit in der Einzelauffassung schoss sich Osiander in seiner Lehre im Wesentlichen an Luther an. Er fasste sie schon  1524 zusammen in dem sog. „Nürnberger Ratschlag“, einer Schrift, in der eine starke Eigenart nicht zu verkennen ist, wenn auch in Ihr im allgemeinen Luthers Standpunkt vertreten wird. Wie Luther wandte er sich dann energisch gegen die aufrührerischen Bauern, die die Lehre von der evangelischen Freiheit falsch auslegten, ebenso gegen die extremen Ideen der Schwarmgeister, Bilderstürmer und Wiedertäufer, die das baldige Kommen des Reiches Gottes auf Erden erwarteten und, alle Obrigkeit verwerfend, verkündeten, „dass eine jegliche Gemeinde, sie sei klein oder gross, für sich sehen solle, dass sie recht und wohl tue und auf niemand warte“. Auch gegen Zwingli und dessen symbolische Auffassung des Abendmahls trat er im Sinne Luthers nachdrücklich auf.

Osiander wurde neben dem Ratschreiber Lazarus Spengler der Sprecher und Führer der evangelischen Sache in der Reichstadt und vertrat diese als einer der Beauftragten des Nürnberger Rats auf mehreren Religonsgesprächen und Reichstagen. So auf der wichtigen Tagung in Marburg 1529, wo er Luther und Melanchthon persönlich kennen lernte. Mit ihrer Stellung gegen die Schweizer einverstanden, wich er darin von den Wittenbergern ab, dass er in scharfem Gegensatz zu ihnen eine bewaffnete Notwehr auch gegen den Kaiser für erlaubt hielt. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) war er ebenfalls anwesend; er war hier mit Melanchthons Haltung nicht zufrieden da dieser der Gegenpartei Zugeständnisse machte, die weit über den Rahmen dessen hinausgingen, was er für zulässig hielt.

Vor allem aber bewährte er sich in positivem Schaffen als Organisator der neuen Kirche in Nürnberg. Er entwarf im Anschluss an mehrere vorausgegangene Kirchenvisitationen zusammen mit Johann Brenz die neuen Kirchenordnung für die Nürnbergische=Brandenburgische Kirche (Herbst 1532). Aber infolge seiner leidenschaftlichen, heftigen und eigenwilligen Natur geriet er bald, besonders in der Frage der Einzelbeichte, in Zwistigkeiten mit dem Rat und mit den anderen Nürnberger Geistlichen. Wiederholt beschwichtigt, brachen diese immer aufs neue aus und verminderten seine Popularität in der Stadt. 1534 wäre er deswegen gerne als Professor der Theologie nach Tübingen gegangen; aber die Verhandlungen über seine Berufung zerschlugen sich. Als im Jahre 1539 in Nürnberg zum erstenmal wieder seit Beginn der Reformation an Fastnacht ein grosser Maskenzug abgehalten wurde, befand sich auf einem Schiffe, das mitherumgezogen wurde, der  sogenannten Hölle, auch die Gestalt Osianders, in der einen Hand ein Brettspiel, in der andern einen grossen Schlüssel haltend, ein Unfug, der den Rat zum Verbot des „Schönbartlaufens“ veranlasste. Aber die gehässigen Angriffe gegen Osiander hörten nicht auf. Doch nahm er auch in diesen Jahren an wichtigen Verhandlungen zwischen vertretern der beiden Bekenntnisse teil, so an dem Gespräch in Hagenau, wo er Calvin kennen lernte, und in Worms (1540), wo er leidenschaftlich und schroff gegen den Vorsitzenden, den kaiserlichen Minister Granvella, auftrat, obwohl dieser den Protestanten nach Möglichkeit entgegenkam.

Der Nürnberger Rat sah daher von einer weiteren Verwendung Osiandes bei den Vergleichsverhandlungen ab.

Nun kamen schwere Zeiten für die protestantische Stände. Ihre Lage wurde von Jahr zu Jahr bedenklicher. Der Kaiser trat aus der nachgiebigen Haltung, die er bis dahin eingenommen, heraus und drohte mit Waffengewalt. Die Kurie liess gleichzeitig verkünden, die deutsche Ketzerei werde jetzt bald am Boden liegen. In dieser kritischen Lage hat sich Osiander, wie sein neuester Beurteiler sagt, als Christ und Mann bewährt. Noch ehe der Krieg zwischen dem Kaiser und dem Schwalkaldischen Bund ausbrach, veröffentlichte er (Sommer 1546) mit seinem Namen die „Trostschrift wider die gottlosen Verfolger des Wortes Gottes, aus den ersten drei Bitten des heiligen Vaterunsers gezogen“. Was sollen wir tun, fragt er, in diesen Zeiten der Not und Bedrängnis? Beten, inbrünstig beten. „Gott wird unser Gebet erhören, wenn wir ihn in Christi Namen angehen, er wird uns helfen wie geschrieben steht im 68. Psalm: „Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern, den Haarschädel derer, die da fortfahren in ihrer Sünde“. In den ersten drei Bitten des Vaterunsers liegt alles eingeschlossen, war wir jetzt brauchen. „Dieweil denn uns Christus also zu beten befohlen und die ganze Christenheit also bittet, wird es ohne Zweifel erhört und also ergehen. Darum sollen wir nicht kleinmütig sein noch vor den Gottlosen erschrecken, denn Christus der Herr wird seine Heiligen, die schon mit ihm regieren, wohl wissen zu erhalten. Sollen auch gern Leib und Leben, Ehr und Gut, Land und Leut daran setzen, dass wir mit gutem Gewissen vor dem Richtstuhl Christi erscheinen und ihn mit Freuden in seiner Herrlichkeit anschauen mögen. Das verleihe uns der Vater aller Barmherzigkeit durch Jesum Christum, unseren lieben Herrn und Heiland, der mit Ihm in Einigkeit des Heiligen Geistes regiert, immer und ewiglich“.


Als dann Kaiser Karl V. nach seinem Siege über die Schmalkaldner eine „kaiserliche Zwischenreligion“ bis zum Austrag des allgemeinen Konzils ins Werk setzte und das sog. Interim erliess, eine Glaubensformel, die Protestanten und Katholiken zusammenfassen sollte, protestierte Osiander unerschrocken auf das entschiedenste gegen dessen Annahme. „Ich bezeuge“, erklärte er in seinem „Bedenken auf das Interim“, „vor Gott und der Welt, was ich hierinnen anzeigen, tadeln und widerfechten werde, dass ich das keinem Menschen auf Erden, viel weniger denen, so das Interim zusammengetragen, allerwenigst Kaiserlicher Majestät, unserem allergnädigsten Herrn, zuwider, zu Verkleinerung oder zu Injurien tue noch getan haben will. Sondern allein aus unvermeidlicher Not, mein und anderer gottseliger Menschen Gewissen zu erretten und zu bewahren vor dem Geist des Irrtums und Verführung, nämlich vor dem Geist des Widerschrifts, von welchem Johann der Evangelist in seiner Ersten Epistel zeuget, Er sei schon in der Welt“ Da dieser Protest nichts fruchtete (der Nürnberger Rat musste under dem Druck der Spanischen Landsknechte das Interim verkündigen lassen), kam Osiander um seinen Abschied ein. Er verliess Ende November 1548 die Stadt und begab sich über Breslau im Januar 1549 nach Königsberg zu seinem alten Gönner, dem ehemaligen Hochmeister, jetzigen Herzog Albrecht von Preussen.

Als Professor der Theologie an der Universität, als Pfarrer an der Altstädischen Kirche daselbst und schliesslich als Präsident des Bistums Samland gewann er bald starken Einfluss auf die kirchlichen Verhältnisse Preussens. Aber wie in Nürnberg, wurde er auch hier aus persönlichen Gründen sowohl, die in seinem durchfahrenden und herrschsüchtigen Wesen lagen, wie aus religiösen, weil man die von ihm vorgetragene Rechtfertigungslehre für Ketzerei hiel, in widerwärtige Reibungen und gehässige Streitigkeiten verwickelt, in deren Verlauf er von seinen Gegnern geradezu „als der persönlichen Antichrist“ bezeichnet wurde. Von den Kanzeln herab wurde gegen ihn und seine Anhänger gepredigt. „Ich dar sie nicht erst dem Teufel übergeben“, heisst es in einer Predigt vom 28. Mai 1551, „denn sie sind schon zuvor sein, alle die Osianders Lehre annehmen; und ich will es öffentlich anzeigen, dass ich derselben keinen, der diese Lehre  annimmt, oder in seine Predigten geht, zu dem Sakrament gehen lassen will, sie mögen hinlaufen, wo sie wollen. Ihr sollt sie auch nicht grüssen, keine Gemeinschaft mit ihnen haben, sondern fliehen, als wären sie der Teufel Selbst“. Selbst der Kirchengesang wurde zur Hetze gegen ihn verwendet.


„ Ein Lied auf die Osiandristen in Preussen“ wurde damals gedichtet und gesungen:


„Kein Ketzeren, auf Erden frey, gräulicher ist erfunden,

Als Osi  ist, voll Teuffels List, in Preussenland erklungen,

Welcher führt dich, gantz sicherlich, von Christi Blut und Sterben

Auf einen Tant, der unbekannt, mit Teuffels List und Färben

Will uns ewig verderben.“



Er und sie Seinen konnten sich nur noch bewaffnet auf der Strasse zeigen. 

Osiander nahm den Kampf mit der ganzen Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit seines Naturells auf. In allen evangelischen Ländern des Reichs setzte der Streit die Gemüter in heftige Bewegung. Vergebens suchte Osianders alter Freud Johann Brenz im Auftrage seines Herzogs die Gegensätze auszugleichen; vergebens wies dieser darauf hin, dass beide Teile die Pflicht hätten, sich zu vertragen. Mitten in diesen Kämpfen, die schwer auf ihm lasteten, ist Osiander am 17. Oktober 1552, 54 Jahre alt, gestorben. Der Streit ging auch nach seinem Tode weiter und endete nach der Hinrichtung des auf seinem Standpunkt stehenden Hofpredigers Funck mit der Verdammung des „Osiandrismus“ als einer Hauptketzerei und mit der Wiederherstellung des „genuinen“ (echten) Luthertums.

Andreas Osiander war ein sehr begabte, gelehrter und scharfsinniger, aber leidenschaftlicher und rücksichtsloser Mann, eine schroffe und herrische Persönlichkeit, eine richtige Kämpfernatur; in Wort und Schrift zog er gegen alle Lauheit und Nachgiebigkeit in Glaubenssachen auf das Heftigste zu Felde. Er war aber auch ein Mann von spekulativen Ideen auf religiösem Gebiet, der sich seiner Eigenart gegenüber den grossen Wittenbergern wohl bewusst war. Neben der Theologie hat er sein Interesse auch der Mathematik und Astronomie zugewendet; er gab im Jahre 1543 das berühmte Werk des Kopernikus „De revolutionibus orbium caelestium“ (Über die Umdrehung der Himmelswelten) heraus und führte es mit eine Vorrede in die wissenschaftliche Welt ein. Auch mit astrologischen Studien hat er sich beschäftigt. In seiner „Vermutung von den letzten Zeiten und dem Ende der Welt, einer Schrift, die im Jahre 1545 erschien, sucht er das Jahr des Weltendes zu errechnen; er setzt den Sturz des Papsttums auf das Jahr 1672 an, das Ende der Welt auf 1688.

Andreas Osiander war dreimal verheiratet. Seine erste Frau, Katharina war eine geborene Preu, Näheres über die Preus ist nicht bekannt. Sie gehörten aber ohne Zweifel zu den wohlhabenden Familien Nürnbergs. Denn die Frau brachte Osiander bei der Eheschliessung, die am 2. November 1525 stattfand, 800 Goldgulden mit. Sie starb im Sommer 1537. Melanchthon nennt sie in seinem Beileidsschreiben an Osiander eine in ihrem Berufe treffliche und tugendreiche Frau. Aus dieser Ehe stammten zwei Töchter und ein Sohn, Lukas, der das Geschlecht nach Württemberg verpflanzte.


Quelle: F. Blum, „Ludwig Trick - sein Leben und Wirken 1835 - 1900“ ein Gedenkblatt zur hundersten Wiederkehr seines Geburtstages 17. Dez. 1935, Druck bei Erich Kostenbader, Heilbronn 1935