TMEGEN
Genealogische Datensammlung

Johannes Brenz

Der Reformator Württembergs

von 

Gottfreid Berron



Die Jugend


Das alte württembergische Städtchen an der Würm mit den dreiteiligen Namen Weil der Stadt, am nordöstlichen Ende des Schwarzwalds gelegen und einst freie Reichsstadt, ist nicht nur die Geburtsort des Astronomen Johannes Kepler, sondern auch des Reformators Johannes Brenz.

Als ältester von drei Söhnen des Schultheissen Martin Hess-Brenz und seiner Frau Katharina geb. Hennig wurde Johannes Brenz am Johannistag, am 24. Juni 1499, geboren. Sein Geburtshaus nahe der alten Stadtmauer steht heute noch, wenn auch nicht mehr im ursprünglichen Zustand. Den Namen Brenz hatte sich der Vater zugelegt; es war der Name seiner Mutter. Schultheiss bedeutete damals oberster Richter der Stadt.

Nach dem Besuch der Schule in Weil und der Lateinschulen in Heidelberg und Vaihingen/Enz kam der äusserst begabte und geistig reife Johannes schon mit 15 Jahren auf die Universität zu Heidelberg. Hier studierte er, wie es üblich war, zuerst die „freien Künste“, römische Literatur, Grammatik, Logik, Redekunst. Dann Widmete er sich dem Studium der Theologie, die jahrhundertelang als Königin der Wissenschaften galt. mit 19 Jahren wurde er Magister und durfte Vorlesungen halten, auch wurde er Rektor des Heidelberger Studentenheims der Schwaben.

Nun aber trat ein Ereignis ein, das für das Leben des Johannes Brenz von entscheidender Bedeutung wurde: Am 26. April 1518 lernte er Martin Luther persönlich kennen. Luther, dessen Namen seit einem halben Jahr in aller Munde war - am 31. Oktober 1517 hatte er seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen -, war nach Heidelberg gekommen, um im Hörsaal des Augustinerkloster mit Vertretern des Augustinerordens, zu dem er selbst gehörte, zu disputieren. auch bei dieser Gelegenheit verkündete Luther das Evangelium, wie es im neu offenbart worden war: die frohe Botschaft von Rechtfertigung des Sünders, eines jeden Menschen allein durch die Gnade, durch den stellvertretenden Tod Jesu Christi.

Im Jahre 1520 wurde Johannes Brenz zum Vikar und Geistlichen an der Heiliggeistkirche in Heidelberg ernannt. in Heidelberg studierten auch Söhne der freien Reichstadt Schwäbisch Hall. Durch sie drang der Ruf es jungen, eifrigen und ernsten Johannes Brenz zu den Ohren des Rates der Stadt Hall. Und als man an der dortigen Michaelskirche einen Prediger brauchte, rief der Rat in nach Hall. Am 8. September 1522 hielt er dort seine Probepredigt.


Entscheidende Jahre in Schwäbisch Hall


Brenz war nicht weniger als Luther von Neu geschenkten Glauben an das Heil allein in Jesus Christus erfüllt und war nicht weniger entschlossen, der Sache der Reformation zu dienen und zum Sieg zu verhelfen. Aber er war kein Stürmer und Feuergeist wie Luther, er war ruhiger, massvoller und vorsichtiger, Luther hat, im Anklang an die Elia-Geschichte, sich selbst mit dem Sturmwind, das Wesen seines Freundes Brenz aber mit dem stillen, sanften Sausen des Geistes verglichen.

Johannes Brenz hat viel geschrieben und war auch ein grosser Organisator. Aber Prädikant, also Prediger zu sein, hat er zeitlebens als seinen eigentlichen und wichtigsten Beruf angesehen. Mit seinen Predigten und Schriften über den Heiligenkult, das Wesen der Kirche, das Amt der Priester, die Rechtfertigung aus Glauben begann die Reformation der Stadt Schwäbisch Hall. Er predigte Busse und geisselte die wilden Sitten seiner Zeit, z.B. die Trunksucht. Aber er blieb sein Leben lang bei der Überzeugung: „Zum Veter zu kommen, da ist nur ein einziger Weg, der heisst nicht gute Werke noch Gottes Gebot, sondern Christus Jesus“. Weil Christus der einzige ist, „der das Gesetz erfüllt und für aller Gläubigen Sünde genuggetan hat“, heisst Busse tun: „Christum in die Lücke stossen“, schrieb Brenz in einer Schrift. Die „guten Werke“ folgen aus dem Glauben, machen aber nicht „gerecht“, denn: „Die Liebe macht keinen Christen; man kennt aber einen Christen bei der Liebe.“ Wie auch Christus selbst  „durch Liebe und Werke nicht ein Sohn Gottes ist worden, sonder weil es schon vorher ein Sohn Gottes war, hat er sich erzeigt in solchen Werken“.


In seinem Denken und Handeln hielt sich Johannes Brenz streng an die Heilige Schrift. Sie allein gab im die Massstäbe, an denen er sich ausrichtete. Auch in der Zeit des Bauernkrieges (1524-1525) fragte er nicht nach der Gunst der „Obrigkeit“ oder der „Untertanen“, sonder liess sich von der Bibel sagen, wie er zu urteilen habe, die zuerst für Luther begeisterten und auf ihm und das Evangelium sich berufenden Bauern vermengten evangelische Gesichtspunkte mit politischen und Sozialrevolutionären Ideen und scheuten nicht vor Gewalttaten zurück. „Weil Gott ein Gott des Friedens ist, so ist er auch dem Namen Aufruhr feind“, sagte Brenz. Weltliche Gewalt sie eine Ordnung Gottes. Wo aber der Fall eintrete, dass man nach dem Wort zu handeln habe: „ Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, gehöre es sich nicht, „der Obrigkeit zu widerstreben mit Fechten, Schwertzücken, Aufruhr und dergleichen, sonder mit Leiden“. Im Aufbegehren der Bauern sah Brenz eine unchristliche Leidensschau, ein Freiheitsstreben, das nicht dem Evangelium, sondern dem „alten Adam“ entspreche. Aber er zeigte auch den Herren, was sie zu tun schuldig seien, und schrieb etwa: „Will ein Fürst oder Berkeit Christenlich gesinnet sein, muss er gedenken, dass sein hohe hab, von Gott ihm gnädig verliehen, ihn Mehr mach zu einem Knecht des Lands denn Herrn, und das er in seinem Amt diene nit einem eigen Volk, sondern einem Volk, das Gott, dem höchsten Herrn, zustehe.“ und als es darum ging, wie man mit den besiegten Bauern verfahren solle, mahnte Brenz deutlich zu Milde. „Von Milderung der Fürsten gegen die aufrührerischen Bauern“ lautet eine berühmte Schrift von ihm aus jener Zeit. In einer Ermahnung an den Rat zu Schwäbisch Hall schrieb er „Also auch jetzund haben die Untertanen nit allein gesündigt, die Oberkeit liegt auch zum Teil in diesem Spital krank, sie hat auch nit allweg Seiden gesponnen.“ Ja, einmal schrieb er sogar: „So man die Sach recht wil. bedenken, hatt Gott freilich den Aufruhr verhängt, dass dadurch die Oberkeit gestraft und gebessert werd.“ Die Hallter Herren warnte er eindringlich von harter geldlicher Bestrafung der Bauern. Gott höre das Seufzen der Armen und lasse sie „selten ungerochen, dieweil er sich selbst ihnen zu einem Vater ver-sprochen hat“. Tue ihnen die Obrigkeit aber Gutes, so werde sie „auch an Gott einen gnädigen Vater finden“. Am Christfest 1526 wurde in Schwäbisch Hall das erste evangelische Abendmahl mit Brot und Wein gefeiert. Der von Brenz benützte Kelch ist heute noch vorhanden. In seiner Abendmahlspredigt sagte Brenz: „Was soll wir Gott geben, damit er sich wieder zu Gnaden aufnehme ? ....Wir können nichts geben. Aber Gott gibt. wir sollen’s annemen. Er gibt uns seinen Sohn“.

In den nächsten Jahrzehnten entfaltete Johannes Brenz eine reiche organisatorische und literarische Tätigkeit. In vielen Städten wurden Werke von ihm gedruckt, vor allem Predigten und Bibelauslegungen. Wie später in der Ver-antwortung für das Herzogtum Württemberg, so kümmerte sich der Reformator um die Schulbildung seiner Stadt. Die Lehrer sollten fest besoldet werden. Ein grosser Teil des Rüstungsetats solle zur Ausbildung der Jugend verwendet werden. So müssten die Eltern kein Schulgeld mehr bezahlen. Die Mädchen sollten ebenfalls Unterricht erhalten wie das auch Luther anstrebte.

Noch vor Luther verfasste Brenz einen Katechismus. Seine endgültige Fassung von 1536 wurde 1701 mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis samt Luthers Erklärungen hierzu, sowie seine Erklärungen zum Vaterunser und zu den Zehn Geboten, zusammengefasst. Bis in unsere Zeit lernten die Konfirmanden in Württemberg diese Zeugnisse der Väter mit Ihren zum Teil unübertroffenen Formulierungen auswendig.

Vom 1. bis 4. Oktober 1529 fand in Marburg an der Lahn das Religionsgespräch zwischen Lutheranern und Zwinglianern statt, zu dem auch der „fürtreffliche, gelehrte, sanftmütige“ Brenz eingeladen wurde. Hier Hatte Brenz seine zweite persönliche Begegnung mit Luther, der seine Beteiligung gewünscht hatte. Hier lernte er auch den damals noch verbannten Herzog Ulrich von Württemberg kennen, der gerade am Hof des Landgrafen Philiph von Hessen weilte. man verhandelte hauptsächlich über das Abendmahl. Für Luther ging es dabei um die reale, wirkliche Gegenwart Christi in Brot und Wein auf Grund des Wortes Jesu: „Das ist mein Leib“. Zwingli war der Meinung, Brot und Wein seien lediglich Sinnbilder für Leib und Blut Christi. zu einer Vollen Einigung gelangte man in Marburg nicht. Es wurde aber die 15 Marburger Artikel aufgestellt, die auch Brenz unterschrieb.

Im Herbst 1530 heiratete Johannes Brenz die junge Witwe des mit ihm befreundeten Haller Ratsherrn Hans Wetzel. Margarete war die Schwester des Haller Pfarrers Michael Gräter. Da Brenz seine Frau später durch Krankheit verlor, heiratete er noch einmal. Aus beiden Ehen gingen zahlreiche Kinder hervor. Der Sohn Johannes wurde Professor der Theologie in Tübingen und gab die gesammelten Werke seines Vaters heraus. Lang ist die Reihe berühmter Persönlichkeiten, die den schwäbischen Reformator, über drei seiner Töchter, zu ihren direkten Ahnen zählen können. So stammen von Brenz ab: Johann Albrecht Bengel, der für die Württembergische Kirchengeschichte ebenfalls von grosser Bedeutung wurde; Johann Jakob Moser, der mutige Jurist und Gelehrte, dem seine Standhaftigkeit gegenüber Herzog Karl Eugen fünf Jahre Haft auf dem Hohentwiel eintrug; ferner der Philosoph Hegel, die Dichter Wilhelm Hauff, Ludwig Finckh und Hermann Hesse; aber auch der als einer der Märtyrer unseres Jahrhunderts bekannt gewordene Theologe Dietrich Bonhoefer ist ein Nachkomme von Johannes Brenz.

Das Jahr 1530 ist aber nicht nur für Brenz persönlich ein wichtiges Jahr, sondern auch für die Kirchengeschichte. War es doch das Jahr, in dem das „Augsburgische Bekenntnis“, die „Confessio Augustana“ entstand und auf dem Reichstag die Einheit der Kirche wiederherstellen zu können.. Das in der Hauptsache von den milden und etwas ängstlichen Philipp Melanchthon verfasste Bekenntnis kam diesem Wunsch bis zu einem gewissen Grad entgegen. Der kursächsische Kanzler Christian Beyer las vor Kaiser und Reichstag die deutsche Fassung des latainisch geschriebenen Bekenntnisses vor. Das geschah in der Augsburger Wohnung des Kaiser im bischöflichen Palast am 25. Juni 1530, nachmittags um drei Uhr. Es war sehr heiss, und der Kaiser schlief, wie Brenz in einem Brief erzählte, während der Vorlesung ein. Wegen der Hitze waren die Fenster geöffnet. Draussen aber standen die Menschen dicht gedrängt, um auch etwas von den Vorgängen mitzubekommen.

Die Evangelischen setzten sich auf dem Reichstag mit ihrem Bekenntnis nicht durch. Der Reichstag brachte schliessich seine Erneuerung des „Wormser Edikts“ von 1521, und damit eine völlige Verurteilung des lutherischen Lehre.

Das „Augsburgische Bekenntnis“ aber wurde das Grundbekenntnis der Lutherischen Kirchen. An seiner endgültigen Fassung ist sicher auch Brenz beteiligt. Er hatte in Augsburg engen Kontakt mit Melanchthon, der unablässig an der Confessio arbeitete.


Herzog Ulrich ruft


Wenn von Johannes Brenz und seinem Wirken die Rede ist, müssen auch zwei württembergische Herzöge genannt werden, die wesentlich dazu beitrugen, dass er überhaupt in diesem Ausmass zu  wirken imstande war: Herzog Ulrich und seinen Sohn Herzog Christoph.

Herzog Ulrich war 1519 wegen Landfriedensbruchs vertrieben worden. Er hatte die freie Reichsstadt Reutlingen seinem Herzogtum einverleiben wollen und hatte sich durch die Ermordung seines Stallmeisters Hans von Hutten den Hass des Adels zugezogen. Sein Land war dem österreichischen Erzherzog Ferdinand, dem Bruder des Kaisers, übergeben worden.

Während seiner Verbannung hatte Herzog Ulrich in der Schweiz den Reformator Zwingli kennen gelernt, in Marburg Luther, Schnepf und Brenz. Im Jahr 1534 kam Ulrich nach Württemberg zurück. Mit Hilfe Philipps von Hessen siegte er bei Lauffen am Neckar über den österreichischen Statthalter und seine spanischen Söldner.

Nun begann der Herzog mit der systematischen Durchführung der Reformation in seinem Land. Er beauftragte den lutherischen Marburger Professor Erhard Schnepf mit der Reformation Nordwürttembergs, den Konstanzer Pfarrer Ambrosius Blarer, der den Zwinglianern nahe stand mit der Reformation Südwürttembergs. Die Grenze zwischen beiden Gebieten bildete die Stuttgarter „Alte Weinsteige“. Deshalb teilte man das Land ein in das Gebiet „unter der Steig“ und des Gebiet „ob der Steig“. Der Norden war „unter“, der Süden „ob“ der steig. Schnepf hatte seinen Sitz in Stuttgart, Blarer in Tübingen. Schnepf liess sich gern von Brenz, Blarer von Bucer in Strassburg beraten. Sozusagen die Oberaufsicht über beide Reformatoren bekam, nach einiger Zeit, Johannes Brenz.

Ein Freund von Johannes Brenz, Johann Geyling, der zeitweise Hof- und Feldprediger des Herzogs war, hatte bald nach der Rückkehr des Herzogs an diesen geschrieben: „Der weil Herr Johann Brentz, Prediger zu Schwäbisch Hall, von Gott im Evangelio hochlich begabt, bitt ich, Eure Fürstliche Gnaden woll des Manns nit vergessen, dass er beruft werd, wenn Eure Fürstliche Gnaden eine Reformation machen werd. Er wirt zu kommen willig sein.“ In einem Brief vom 15. Juli 1535 an den Rat der Stadt Hall schrieb der Herzog, sie hätten in Hall „wohlvernommen, dass wir das heilige Evangelium und Wort Gottes in unserem Fürstentum und Land unserer Untertanen zu verkünden“ angefangen. „Neben unsern Gelehrten“ - also vor allem Schnepf und Blarer - sei man in Württemberg jetzt des Prädikanten Johannes Brenz „vast notdürftig“, das heisst: man brauche in dringend.

Johannes Brenz war damals 36 Jahre alt. von vielen Seiten wurde sein Rat eingeholt und seine Hilfe erbeten. Mehrere Male schon hätte er Hall verlassen und einen ehrenvollen Ruf folgen können. Er wollte aber solange wie möglich bei seiner ersten Gemeinde bleiben, zumal er sowiso wegen seiner vielerorts gewünschten Tätigkeit öfters auswärts sein musste. Auch später lehnte er solche Rufe ab. Zum Beispiel hätte in Melanchthon gern als Professor der Theologie in Leipzig gesehen. Auch ein Professur in Tübingen war ihm angeboten worden.

Die nächsten Jahre und Jahrzehnte wurden für das äussere und innere Werden der evangelischen Kirche in Württemberg entscheidend. Schnepf und Blarer prüften die Pfarrer. Viele mussten ihr Amt aufgeben. Evangelische Pfarrer, zum Teil aus fremden Gebieten, aber auch solche, die während der österreichischen Herrschaft vertrieben worden waren, wurden angestellt. Die dann Jahrhunderte hindurch gültige Gestalt des evangelischen Gottesdienstes wurde festgelegt. Sie ist dem nachmittäglichen Predigtgottesdienst nachgebildet, der im späten Mittelalter besonders in süddeutschen Reichsstädten neben dem Messgottesdienst bestand. Darum ist der evangelische Gottesdienst in Württemberg so arm an Liturgie. An die Stelle der katholischen Messe trat das Abendmahl. Die Reformation des Landes Württemberg hatte weniger im Herzogtum als vielmehr in den freien Reichsstädten begonnen. Junge, der Reformation anhängende Prediger - wie Matthäus Alber in Reutlingen, Johann Lachmann in Heilbronn und eben Johannes Brenz in Hall - hatten solche Prädikantenstellen inne und verkündigten in ihren Predigten das Evangelium im Sinne der Reformation.

Die im Jahr 1536 gedruckt erschienene neue Kirchenordnung war das Werk von Schnepf, Blarer und Brenz. Ihr war auch der Katechismus von Brenz eingefügt worden.

Die durch Blarer und vorher durch Melanchthon begonnene Reform der Universität Tübingen wurde durch Brenz vollendet, der von April 1537 bis April 1538 in Tübingen wohnte, wo er auch predigte und Vorlesungen hielt.

Das Jahr 1543 brachte dem Reformator durch den Rat der Stadt Hall auch die Ernennung zum obersten Prädikanten an Sankt Michael auf Lebenszeit. Die berühmte Freitreppe dieser Kirche wurde übrigens zur Zeit des Johannes Brenz gebaut.


Verfolgung und Flucht


Aber nun kamen Jahre, in denen sich der Glaube des Reformators in besonderer Weise bewähren musste. Die politische Entwicklung brachte viel Elend für ihn und seine Familie mit sich.

Nach dem erfolglosen Ausgang des Augsburger Reichstags hatten sich im Jahr 1531 evangelische Fürsten und Städte zum sogenannten „Schmalkaldischen Bund“ zusammengeschlossen, dem 1538 auch die Stadt Schwäbisch Hall beitrat. Im Jahr 1546 kam ers zum „Schmalkaldischen Krieg“. Im selben Jahr besetzten spanische Truppen unter Herzog Alba das Herzogtum Württemberg. Sie kamen auch nach Hall und drangen in die Häuser. Als Brenz von einem Ausgang heimkehrte sah er, wie man auch gegen sein Pfarrhaus mit Gewalt vorging. Ein Söldner setzte ihm die Hellebarde auf die Brust und drohte ihn zu durchbohren, wenn er nicht sofort öffne. Brenz schickte seine Familie weg und verliess auch selbst das Haus. Tags darauf aber besetzte ein spanischer Bischoff mit seinem Gefolge das Haus. Er durchsuchte Bücher, Briefe und Papiere. Auf entstellende Weise wurde dann dem Kaiser über Brenz berichtet. Freunde rieten Brenz, um seiner und der Stadt Sicherheit willen Hall zu verlassen. Eine Zeitlang irrte Brenz unter Lebensgefahr ausserhalb der Stadt umher, von Sorgen um seine Heimat und Freunde gequält, ehe er zurückkehren konnte.

Im Jahr 1547 erlitt der Schmalkaldische Bund im Kampf gegen den Kaiser eine verhängnisvolle Niederlage.

Nun kamen die Jahre des so genannten „Interim“, 1548 - 1552. Das lateinische Wort interim bedeutet; inzwischen, mittlerweile. Der Kaiser wollte mit diesem von ihm befohlenen Interim die Zeit bis zu einem Konzil, das die konfessionellen Dinge neu regeln sollte, in der Weise überbrücken, dass den Evangelischen zwar der Kelch beim Abendmahl und die Priesterehe vergönnt blieben, im übrigen aber katholischer Gottesdienst und Einhaltung katholischer Bräuche zur Pflicht gemacht wurden.

Auch Herzog Ulrich musste, so Leid es ihm tat, das Interim annehmen und von den Kanzeln verkünden lassen. Praktisch bedeutete dies: Er musste die Messe dulden und evangelische Pfarrer absetzen. Diese wurden dann allerdings als Prädikanten oder Katecheten wieder eingestellt. An fielen Orten gab es nun beides: Messgottesdienste und evangelische Gottesdienste oder Unterweisungen.

Johannes Brenz war ein entschiedener Gegner des Interims. Er und sein Amtsbruder Eisenmenger warnten in einem Gutachten den Rat der Stadt Hall von der Annahme des Interims. Der Rat schickte eine Gesandtschaft nach Augsburg, um sie gegen das Interim protestieren zu lassen. Weil aber die gefürchteten spanischen Truppen wieder bedrohlich naherückten, nahmen die in Angst versetzten Hallter doch noch schnell das Interim an. Jenes Gutachten aber geriet dem aus Frankreich stammenden Kardinal und kaiserlichen Kanzler Granvelle vor die Augen. Es wird nun folgendes erzählt:  Am 24. Juni 1548 - dem Geburtstag des Reformators - beruft ein von Granvelle Beauftragter den Rat der Stadt Hall zusammen, um Brenz verhaften zu lassen. Er lässt die Ratsherren schwören, nichts von dem verlauten zu lassen, was jetzt verhandelt werde. Einer der Ratsherren kommt mit Verspätung, nachdem die anderen den Eid schon geleistet haben. Er hört, um was es geht, und schreibt dan auf einen Zettel in lateinischer Sprache: „Domine Brenti, cito fuge, fuge!“ Das heisst: Herr Brenz, schnell flieht, flieht! Den Zettel wirft der Ratsherr dem auch anwesenden Amtsbruder des Reformators, Pfarrer Eisenmenger - vielleicht war es auch ein anderer „ehrlicher Mann“. wie eine Chronik meint - ,vor die Füsse. Der hebt in auf und eilt zu Brenz, ihn zu warnen. Brenz flieht sofort ohne von seiner Familie Abschied zu nehmen.

Zuerst versteckte er sich im Wald, wo er sich auch mit seiner Frau noch traf, die sehr krank war und noch im selben Jahr an Schwindsucht starb. Herzog Ulrich sorgte dann dafür, dass Brenz zunächst auf den Burg Hohenwittlingen bei Urach ein Unterkommen fand. Hier arbeitete Brenz an der Auslegung zweier Psalmen. Es waren bezeichnenderweise die Psalmen 93 und 130, die er sich vornahm: „Der Herr ist König ...“ und „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“.

Noch im Jahr 1548 musste Brenz, den die Kaiserlichen überall suchten, weiterfliehen. Über den Schwarzwald, Strassburg und Mömpelgrad (Montbéliard), das 1397 mit seiner Grafschaft durch Heirat an die Grafen von Württemberg gekommen war und wo Herzog Ulrichs Sohn Christoph als Statthalter regierte, gelangte er nach Basel. Hier war er in Sicherheit. Von hier schrieb er an den neben Luther grössten Reformator: an Calvin in Genf. In Basel erfuhr er auch den Tod seiner Frau. Nun hielt Ihn nichts mehr in der sicheren Schweiz. Er sorgte sich um seine Kinder, seine Gemeinde, um den Fortgang der evangelischen Sache. So brach er auf und kam heimlich nach Stuttgart. Dorthin hatte er seine Kinder kommen lassen.

Aber noch war die Gefahr für Brenz nicht vorüber. Man wollte seiner habhaft werden, um ihn der Gewalt des Kaisers auszuliefern. In dieser Zeit spielt folgende Geschichte, die wohl ein legendenhafte Ausmalung darstellt: Johannes Brenz versteckte sich in Stuttgart oder ausserhalb der Stadt hinter einem Holzstapel, Eine Henne versorgte ihn vierzehn Tage lang täglich mit einem Ei. Einmal kamen Häscher vorbei und stiessen mit ihren Spiessen in den Holzhaufen, ohne ihn zu entdecken und zu verletzen. Als die tägliche Nahrungsquelle versiegte, schloss Brenz daraus, dass die Gefahr vorüber sei. mag es sich nun so verhalten haben oder nicht - auf jedem Fall hat Johannes Brenz immer wieder und überall gnädige Bewahrung erlebt.

Um den Reformator in ein einigermassen sicheres Versteck zu bringen, machte ihn der Herzog im Sommer 1549 zum Burgvogt der Burg Hornberg über dem Gutachtal im Schwarzwald. Hier lebte Brenz über ein Jahr unter falschem Namen: Huldreich Engster nannte er sich, wie einst Luther auf der Wartburg Junker Jörg. Aber auch hier blieb er nicht untätig. Eifrig widmet er sich biblischen und theologischen Studien und Arbeiten. So schrieb er eine grundlegende lateinische Erklärung seines Katechismus, die 1551 in Druck erschien.

Wie es Johannes Brenz in den Jahren seines Flüchtlingsdaseins und der Trennung von Familie und Gemeinde, trotz unerschüttertem Gottvertrauen, zu Mute gewesen sein mag, das sich vorzustellen bedarf keiner aussergewöhnlichen Phantasie. Einmal schrieb er. „Wenn es kein Land mehr gibt, das mich aufnehmen kann, so bitte ich den Herrn, dass er mich in den Himmel aufnehme.“ An den Rat der Stadt Hall hatte er im September 1548 geschrieben: Er, der Rat, wolle sein „kranks Weib und verlassene Kinder in günstigen Bevelch haben (sich anbefohlen sein lassen). Denn ob ich schon zu dieser Zeit in der Menschen Ungnad sein soll, so bin ich doch, wie ich gwisslich vertrau und dessen kein Zweifel hab, nicht in Gotts Ungnad. Sondern je mehr ich in das Elend verjagt, je mehr mir Gotts Sohn ... beiständig sein ...wird.“

Lichtblicke waren für Johannes Brenz in dieser Zeit Angebote der Stadt Magdeburg, dort das Amt des „Superattendenten“ (etwa Dekan) zu übernehmen, und ein Ruf des Herzogs Albrecht von Preussen. Sosehr ihn beides lockte, fühlte er sich doch seinem Herzog Ulrich, der so treu für ihn sorgte, dankbar verpflichtet.

Die Mitte des Jahrhunderts, das Jahr 1550, bedeutete eine Wende im Leben des Johannes Brenz: Herzog Ulrich holte ihn aus seinem Versteck auf der Burg Hornberg und brachte ihn nach Urach. Im dortigen Schloss weilte der Herzog öfters. Bald aber kam Brenz für einige Zeit im Pfarrhaus zu Mägerkingen auf der Schwäbischen Alb unter. Noch wagte der Herzog nicht, ihn wieder öffentlich auftreten zu lassen.

Im September 1550 ging Brenz auch seine zweite Ehe ein: mit Katharina Eisenmenger, einer Verwandten seines Freundes und Haller Kollegen Eisenmenger, der jetzt in Urach amtierte.

Noch in diesem Jahr, am 6. November, starb Herzog Ulrich auf dem Schloss Hohen-Tübingen. Nun war die Stunde für seinen Sohn gekommen.


Herzog Christoph


Herzog Christoph (1515 - 1568) war nach der Vertreibung seines Vaters am Hof des österreichischen Erzherzogs Ferdinand, der Statthalter von Württemberg geworden war, und am Hof des Kaisers erzogen worden. Als einer seiner Edelknaben zog Christoph mit dem Kaiser durch verschiedene Länder, bis er ihm eines Tags entfloh. Nach einem Aufenthalt in Bayern und am Pariser Hof machte ihn Herzog Ulrich 1542 zum Statthalter der bereits reformierten Grafschaft Mömpelgard in Burgund, in der Ulrich selbst während seiner Verbannung einige Jahre zugebracht hatte.

Christoph lass viele reformatorische Schriften, auch solche von Brenz, und vor allem die Bibel und schloss sich innerlich ganz der Reformation an. In Mömpelgard oder Basel begegnete er dem flüchtigen Brenz persönlich. Christophs Wahlspruch lautete: „Verbum Domini manet in Aeternum“ - Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Als er die Regierung des Herzogtums Württemberg antrat, versprach er sein Land „mit der reinen Lehre des Evangeliums, die den rechten Frieden des Gewissens bringt, zu versorgen und erst dann und daneben nützliche Ordnungen zu zeitlichen Frieden anzustellen“. 

Unter Herzog Christoph wurde Johannes Brenz nun erst recht der Reformator Württembergs. Der herzog rief in seine Nähe, zuerst ins Kloster Sindelfingen und auf das Schloss zu Ehningen bei Böblingen.

Als in Trient jahrelang das grosse Konzil tagte, riet Brenz dem Herzog, dem Konzil eine knappe, das Wesentliche umfassende evangelische Glaubenslehre vorzulegen, anhand deren sich eine Diskussion entfalten könnte. Für ihre Ausarbeitung schlugen die Strassburger Reformatoren ihn selbst und Melanchthon „als dieser Zeit fürnehmste Theologen“ vor. In der Hauptsache blieb die Aufgabe dann an Brenz hängen. Diese „Confessio Virtembergica“, die bei einer Zusammenkunft württembergischer und elsässischer Theologen in Dornstetten bei Freudenstadt den Beifall aller Anwesenden fand, wurde die Bekenntnisgrundlage der evangelischen württembergischen Landeskirche. In Trient kam es aber nicht zu der erhofften öffentlichen Diskussion über die im Januar 1552 dort überreichte Confessio. Unverrichteter Dinge fuhren die Evangelischen, unter ihnen Brenz, wieder heim.

Doch wurde das Interim aufgehoben, und von 1555 an waren die lutherischen Kirchen, infolge des „Augsburger Religionsfrieden“, staatlich anerkannt. Fortan sollten Gewissens- und Religionsfreiheit herrschen. Auch verliessen 1552 die spanischen Söldner Württemberg, da Ferdinand I. endlich auf sein Lehen verzichtete. Der Weg für Johannes Brenz war damit endgültig frei.


In Stuttgart


Herzog Christoph berief den Reformator nach Stuttgart, ernannte ihn zum „Rat für die Kirche Geschäfte“, zum Stiftspropst und ersten Pfarrer der Stiftskirche. Am 10. Januar 1553 trat Brenz sein Amt an. Brenz war nun - wollen wir heutige Begriffe verwenden - erster Stiftskirchenprediger, Stadtdekan und Landesbischof in einer Person geworden, ausserdem herzoglicher Berater. In seinen Briefen nannte er sich gern „Propst zu Stuttgart“. Seine Wohnung erhielt er in der „neuen Stiftspropstei“ nahe der Stiftskirche (Stiftstrasse 5). Der Bestellungsbrief“ des Herzogs vom 25. September 1554 regelte das Einkommen des Stiftpropstes auf das Grosszügigste. In früheren Zeiten wurde viel öfter gepredigt als heute. Johannes Brenz predigte, vor allem in Hall, auch an den Werktagen. Zudem gab es ja noch eine Menge Apostelfeiertage mit Gottesdiensten. In Stuttgart predigte Brenz auf jedem Fall sonntags und freitags. Aus allen Schichten der Bevölkerung strömten die Menschen in den sonntäglichen Gottesdienst, um Brenz zu hören. Werktags war der Kirchenbesuch geringer, und nach und nach liess er häufig zu wünschen übrig. Als ein auswärtiger Pfarrer, nach einem schlecht besuchten Gottesdienst der Stiftskirche, beim Gang durch die Stadt meinte, für so wenige Menschen würde er auf die Kanzel besteigen, wies Brenz auf einen öffentlichen Brunnen hin und sagte, der Brunnen höre auch nicht auf dauernd frisches Wasser fliessen zu lassen, obwohl die Menschen nicht immer davon Gebrauch machten.

Brenz glaubte „festiglich, dass die Bücher der heiligen göttlichen Schrift, der Propheten und Apostel, Alten und Neuen Testaments seien ein wahrhaftige Schrift des heiligen Geistes und ein gewisser Sendbrief des allmächtigen und barmherzigen Gottes an das ganze menschliche Geschlecht“.

Brenz war von hoher Gestalt, hatte eine volltönende Stimme, eine ruhige Vortragsweise und zeichnete sich durch sprachliche Gewandtheit aus. Aber er war eine Persönlichkeit, die nicht allein durch ihre grossen natürlichen Gaben, sondern durch die vom Heiligen Geist ihm verliehene Vollmacht wirkte. So schrieb er in der Confessio Virtembergica: „Die Gabe der Schriftauslegung ist nicht Sache menschlicher Klugheit, sondern des Heiligen Geistes“. Weil er das nicht nur als eine allgemeine Wahrheit aussprach, sondern für sich persönlich gelten liess, war er ein berufener Prediger und Schriftausleger.

Eine grosse Anzahl Predigten und Bibelauslegungen von Brenz wurden nicht bloss in Deutschland veröffentlicht sondern auch in fremde Sprachen übersetzt.

Dank seiner hohen Stellung und der Freundschaft mit dem Herzog konnte sich Brenz nun gemeinsam mit Theologen und Juristen, einer weit reichenden und bis in unsere Zeit nachwirkende Tätigkeit des Aufbaus widmen. „Architekt der Landeskirche“ hat man ihn deshalb genannt. Aber was versteht Brenz unter Kirche? In der Confessio Virtembergica heisst es: „Die wahrhaft gemeinchristliche und apostolische Kirche ist nicht an einen einzelnen bestimmten Ort oder an ein einzelnes Volk, auch nicht an einen bestimmten menschlichen Stand gebunden; sie ist vielmehr an dem Ort bzw. bei dem Volk, wo das Evangelium Christi rein gepredigt und seine Sakramente recht, nach der Einsetzung Christi , verwaltet werden ... Somit besitzt die Kirche die Vollmacht, über die Lehren zu urteilen - so jedoch, dass sie sich in den Schranken des Heiligen  Schrift halten muss. Denn diese ist die Stimme ihres Bräutigams, und von dieser Stimme abzugehen hat niemand das Recht, nicht einmal ein Engel“.

Brenz war - mit Herzog Christoph - überzeugt, dass es zu den Aufgaben eines christlichen Fürsten und seines Staates gehörte, der Verkündigung des Evangeliums nicht nur nicht in den Weg zu legen, sondern ihr den Weg zu bahnen und darum die Kirche zu unterstützen und zu fördern und in ihrer Verwaltung mitzuarbeiten. Der Herzog betrachtete es als seine Aufgabe, sich „der Kirche Christi mit Ernst und Eifer“ anzunehmen.

Mit seinem frommen Herzog fast in allen Dingen übereinstimmend, schuf Brenz kirchliche Ordnungen und Verhältnisse, die für lange Zeit Bestand hatten. Heute, nach einer Geschichte von Jahrhunderten und grundsätzlichen Wandel aller Dinge, sehen wir natürlich die Gefahren einer engen Verquickung von Kirche und Staat deutlicher, als es den Reformatoren zu sehen möglich war. Aber immerhin ist es Brenz „weithin gelungen, die politische Gewalt im christlichen Sinn positiv verantwortlich zu machen. Er hat ihr diese Verantwortung stets eindringlich eingeschärft und sie dafür gewonnen“ (Martin Brecht). Und es war ein Geschenk Gottes, dass er einen Fürsten wie Herzog Christoph zur Seite hatte. Dass er aber alles andere als ein Fürstenknecht war, beweist sein ganzer Lebenslauf zur Genüge.

Viel wurde unter Brenz und Herzog Christoph auch auf dem Gebiet das Schulwesen geleistet. Von vierzehn Männerklöstern wurden dreizehn in evangelische Schulen umgewandert: Adelberg, Alpirsbach, Anhausen Bebenhausen, Blaubeuren, Denkendorf, St. Georgen, Herrenalb, Hirsau, Königsbronn, Lorch, Maulbronn, Murrhardt.

In Denkendorf wirkte im 18. Jahrhundert einer der bedeutendsten Nachkommen des Reformators als Präzeptor: Johann Albrecht Bengel, zu dessen Schülern der schwäbische Liederdichter Philipp Friedrich Hiller gehörte, in späterer Zeit blieben von den dreizehn evangelischen Klosterschulen, in denen junge Menschen zu künftigen Theologiestudenten ausgebildet wurden und die Brenz als oberster Aufseher jährlich zweimal besuchte, nur noch einige wenige übrig. Generationen von Pfarrern der württembergischen Landeskirche sind in Ihrer Jugend durch diese Schulen gegangen, ehe sie das „Stift“ in Tübingen bezogen haben.

Schon 1536 hatte Herzog Ulrich - nach einem Marburger Vorbild - das „Hochfürstliche Stipendium“ gegründet, das 1547 in ehemaligen Augustinerkloster zu Tübingen seine bleibende Stätte bekam. Im Jahr 1557 erhielt diese Unterkunft mit freier Wohnung und Kost für Studenten der Theologie ihre vorläufig endgültige Ordnung. Aus diesem weltberühmt gewordenen Stift sind im laufe der Jahrhunderte nicht nur unzählige schlichte, treue Verkünder des Evangeliums, Diener Gottes und der Kirche hervorgegangen, sondern auch überragende Geister - „Stiftköpfe“ - die Geschichte machten, leider nicht immer im Sinne des Reformators

Neben den alten Lateinschulen wurden „deutsche Schulen“ eingerichtet, die zuerst oft den Mesnern anvertraut wurden. Diese mussten die Kinder im Lesen und Schreiben, in Bibelkunde, Katechismus und Choralgesang unterrichten. Die Oberaufsicht hatten die Pfarrer. Diese „deutschen Schulen“ konnten auch von Mädchen besucht werden.

Alle Einzelordnungen wurden dann in der „Grossen Kirchenordnung“ von 1559 zusammengefasst. Diese enthält auch die „Confessio Virtembergica“ und die Bestimmungen über die Gliederung der württembergischen Landeskirche in Dekanate und Prälaturen.

Das allgemeine Priestertum wurde von Brenz grundsätzlich bejaht, weil es dem Neuen Testament entspricht. „Es geht offenkundig aus der Heiligen Schrift hervor: alle wahren Christen werden in der Taufe durch Christus, den Sohn Gottes, zu geistlichen Priestern geweiht“, heisst es in der Confessio Virtembergica. Eine freie Pfarrerwahl aber lehnte Brenz ab. Er war so sehr ein Mann der Ordnung, dass er nur allzu leicht die Gefahr der Unordnung witterte.

Der Ruf des württembergischen Reformators drang weit über Deutschland hinaus. So hätte man ihn gern auch in Dänemark und in England gesehen. Er aber blieb in Württemberg.

Im Jahr 1568 starb Herzog Christoph. Im selben Jahr hörte Brenz auf zu predigen. Seine Kraft hatte sich erschöpft. Im Jahr darauf erlitt er einen Schlaganfall.

Am 31. August 1570 versammelte er alle Stuttgarter Pfarrer um seine Krankenlager und feierte mit ihnen und seiner Familie das Heilige Abendmahl.

Am 11. September 1570 ist Johannes Brenz gestorben. Er liegt unter der Kanzel der Stuttgarter Stiftskirche begraben. Eine Grabplatte mit seinem Namen bezeichnet heute noch die Stelle. Diese Begräbnisstätte hatte er sich ausdrücklich gewünscht. „damit, wenn etwa jemand nach der Zeit von dieser Kanzel eine Lehre verkündigen sollte, entgegengesetzt der, welche ich meinen Zuhörern vorgetragen, ich mein Haupt aus dem Grab erheben und ihn zurufen kann: Du lügst!“

Elf Jahre vor seinem Tod, 1559, hatte Johannes Brenz in Erwiderung auf eine katholische Kritik folgende Sätze geschrieben, die nicht nur seine durch biblische Erkenntnis gewonnene demütige Selbsteinschätzung, sondern auch sein reformatorisches Verständnis des Evangeliums noch einmal deutlich machen:

„Ich bekenne offen vor Gott und Menschen, dass ich von Natur ein derart verdorbener Mensch bin, dass, wenn Gott meine Ungerechtigkeit ansähen, ich kaum bestehen könnte und im eigentlichen Sinn ausrufen müsste: ,Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor deinem Angesicht wird kein Lebendiger gerecht., Nicht nur mit den Augen, nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Tiefen des Geistes habe ich erfahren, was das heisst, was David erwähnt; ,Ich erkenne meine Ungerechtigkeit und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündigt und über vor dir getan’ und aus dieser Verderbnis meiner Natur sind nicht nur jene schlechten Taten gekommen, die mir häufig zu schaffen machen, sondern auch die Grobheit meines Geistes und Redens. Aber je verderbter und schwächer in meiner Natur nach bin, um so mehr danke ich meinem Herrn und Gott, dass er mich verloren und elenden Menschen so mild angesehen hat, dass er mir seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesum Chrsitum, zugänglich gemacht und mich, nachdem er mit alle meine Sünden erlassen, seinetwegen gnädig angenommen hat.

In diesem Jahr, in dem ich das schreibe, als Sechzigjähriger, bin ich im öffentlichen Amt der Kirche 37 Jahre tätig. Welche Mühsal habe ich dort nicht ertragen, welches Elend nicht gesehen, welchen Gefahren bin ich nicht begegnet, welche Sorgen und Schrecken haben mich nicht erschöpft? Das alles zielte und zielt heute darauf, dass ich je mehr und mehr Christus als den Gekreuzigten erkenne, und dass der Kirche geholfen werde, ihn zu erkennen durch Gottes Geschenk und meinen wie auch immer gearteten Dienst. Was soll es also? Soll ich, da ich meine Schwächen erkenne, darum meinen Beruf nicht nachgehen und keine Rechenschaft von meinen Glauben geben? Ich glaube, darum rede ich. Oder soll ich, weil ich Sünder bin und ausgleiten kann, deshalb Christum nicht bekennen und den Antichrist anbeten?“ Johannes Brenz wusste, dass es hier nur ein Entweder-Oder gibt.


Johannes Brenz, Der Reformator Württembergs, Gottfried Berron, Sonnenweg Verlag Neuffen 1976, ISBN 3-7975-01730, Sign. Nr.: AS/588 Evang. Landeskirche in Württemberg, Oberkirchenrat, Landeskirchliches Archiv, Stuttgart