TMEGEN
Genealogische Datensammlung

Quelle: Johannes Parsimonius, Leben und Wirken des zweiten evangelischen Abtes von Hirsau (1525-1588), Waldemar Kramer, Verlag Waldemar Kramer Frankfurt am Main, 1980

Johannes Karg genannt Parsimonius

Theologe und Historiker, evangelischer Abt des Kloster Hirsau

1525-1588


Waldemar Kramer


Das Leben und Wirken des Augsburger Schuhmachersohnes Johannes Karg, der sich nach seinem Eintritt in den württembergischen Kirchendienst Parsimonius nannte, ist in dreifacher Hinsicht bemerkenswert: Einmal zeigt es uns, wie in der Reformationszeit ein begabter Schüler vom Rate der Reichsstadt Augsburg durch Stipendien gefördert wurde, so dass er nicht nur in das St.-Anna-Gymansium überwechseln konnte, sondern sogar an den Universitäten Tübingen und Wittenberg Theologie studieren durfte, wie er dann, durch das Interim aus seiner Vaterstadt vertrieben, schliesslich als Luther- und Melanchthon-Schüler im Herzogtum Württemberg Aufnahme fand, dort bald Pfarrer und Spezialsuperintendent, schliesslich Hofprediger und herzoglicher Rat in Stuttgart und zuletzt evangelischer Abt (Prälat) des Klosters Hirsau wurde. Zum andern verschafft uns sein umfangreicher handschriftlicher Nachlass, der heute in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel verwahrt wird, anschauliche Einblicke in die Schwierigkeiten, die bei der Umwandlung der schwäbischen Mannsklöster in evangelische Klosterschulen durch Herzog Christoph von Württemberg entstanden sind, und denen durch eine Änderung der Klosterverfassung unter Herzog Ludwig begegnet werden sollte. Und schliesslich bieten uns seine mit ungeheurem Fleiss in Tabellenform zusammengetragenen historischen Werke, vor allem eine Reallexikon der Weltgeschichte und eine Synoptische Zeitrechnung, beides umfangreiche Manuskripte, geschöpft aus der damals noch gut erhaltenen Hirsauer Klosterbibliothek, und seine einzigartige Beschreibung der zerstörten Fenstergemälde des Hirsauer Kreuzganges eine wertvolle Geschichtsquelle.


I


Dem Augsburger Schuhmacher Michael Karg (1497-1577) und seiner Frau Felizitas (1500-1586) wurde am 7. Januar 1525 als erstes Kind ein Sohn geboren, der „von einem christlichen Mann“ zu Hause auf den Namen Johannes getauft wurde. Die Eltern waren schon früh dem Luthertum zugeneigt und besassen bereits einige Schriften Luthers, in denen sie fleissig gelesen haben. In der damaligen Reichstadt Augsburg war dies sicher nicht ungefährlich. Denn noch am 15. September 1524 liess der Rat auf dem Platz zwischen dem Rathaus und der Peterskirche die beiden Weber Hans Speiser und Hans Kag, die sich bei den Klagen des Volkes über die drückenden Steuerlasten und die Vorrechte der Geistlichkeit hervorgetan hatten, nach peinlichem Verhör kurzerhand köpfen, weil sie Gott gelästert, die Obrigkeit verachtet und aufrührerische Reden gebraucht hätten.  Die ersten evangelischen Prediger in Augsburg waren zwei Doktoren: Dr. Urban Rhegius (1489-1541), der im Jahr 1520 als Nachfolger des in manchen Stücken noch „im Papsttum verstrickten“ Johannes Oekolampadius Prediger am Dom wurde, und der Freund und Schüler Martin Luthers, Dr. Johann Frosch (1480-1533), der Karmeliterprior zu St. Anna. Während des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530 musste der Rat die evangelischen Prädikanten entlassen. Aber bereits im Januar 1531 berief er den ehemaligen Benedikinermönch Dr. Wolfgang Musculus, zu deutsch: Mäuslin (1497-1563) nach Augsburg, der 1537 die Auswanderung der katholischen Klerus bewirkte und als der eigentliche Reformator Augsburgs angesehen werden kann.  Michael Karg hätte es gern gesehen, dass sein Sohn in der Schuhmacherzunft verblieben wäre. In der väterlichen Werkstatt hatte er schon als Kind das Handwerk erlernt und es soweit gebracht, dass er in einem Tag sieben Paar Schuhe machen konnte. In der Zeit der Hochblüte des Handels durch die Fugger und Welser war man auch in der Schuhmacherzunft gut versorgt.  In der deutschen Schule fiel Johannes jedoch durch seine Begabung auf, so dass sich Bürgermeister Wolfgang Rehlinger erbot, ihn zu sich zu nehmen, damit er bei ihm die „Handlung“, also den Kaufmannsberuf erlerne. Er sorgte dafür, dass Johannes in das 1536 gestiftete Gymnasium zu St. Anna aufgenommen wurde. Rektor dieser Lateinschule war der Augsburger Webersohn Sixt Birck, latinisert Xystus Betulejus (1501-1554), der als „vir dortissimus et diligentissimus“ ge-rühmt wird. Im Gegenstatz zu den sittlich bedenklichen Themen des damals beliebten lateinischen Komödiendichters Terenz wollte er der Jugend Stücke aus biblischen Stoffen geben, um sie zu redegewandten, gerechtigkeitsliebenden und gottesfürchtigen Jünglingen heranzubilden. Die Eltern sollten mit Soltz Ihre Kinder auf der Bühne sehen, wenn sie frei von einem grösseren Publikum sprachen. Besonders beliebt war Bircks Komödie „Susanna“ (gedruckt Basel 1532), bei der Johannes Karg die Titelrolle trefflich darstellte, „weil er selbst schön von Angesicht war“ wie Martin Crusius überliefert hat.  Der Rat der Stadt Augsburg hatte am 8. März 1539, den unermüdlichen Mahnungen der Prediger nachgebend, fünfs ständige Stipendien für begabte Knaben errichtet, so wie auch schon früher einige reiche Augsburger Bürger zur Förderung armer Schüler beigetragen hatten. Johannes Karg gehörte zu den Auserwählten und durfte zusammen mit den Augsburgern Chrysostomus Höchstetter, Thomas Walter, Johannes Muscat und Johannes Kunig die Universität Tübingen beziehen, wo sie bei dem Lektor für Hebräisch, Johann Hildebrand, wohnen durften, mit dem der Rat der Stadt Augsburg öfter wegen der Zöglinge korrespondierte. Zuvor mussten die Stipendiaten aber die „Articul der Khnaben pflicht“ anerkennen und unter-schreiben. Die Immatrikulation der Universität Tübingen erfolgte am 15. April 1539 unter dem Rektorat von Professor Joachim Camerarius, dessen Vorlesungen über römische Schriftsteller berühmt waren. Im Jahre 1541 musste die Philosphische Fakultät wegen der Pest nach Hirsau verlegt werden, wo Johannes Karg sich mit Jakob Andreae (1528-1590) , dem nachmaligen Universitätskanzler, befreundete, was später seinem Lebensweg eine entscheidende Wendung geben sollte. Nach Erlangung der Magisterwürde am 3. Februar 1542 kehrte er in seine Vaterstadt zurück und durfte am 15. November mit den Studenten Johannes Baptist Muscat, Thomas Walter, Castulus Stumpf, Chrysostomus Höchstetter und Walter Wiener nach Wittenberg reisen, um bei Luter und Melanchthon Vorlesungen zu hören. Die Stipendiaten waren mit einem Empfehlungsschreiben des Rates der Stadt Augsburg an Philipp Melachthon ausgestattet. Sie wurden am 21. Dezember 1542 unter dem Rektorat von Professor Caspar Crucigero (1504-1548), dem Gehilfen Luthers bei der Bibelübersetzung, an der Universität Wittenberg immatrikuliert.  In einem Schreiben des Rates der Stadt an die Stipendiaten in Wittenberg vom 5. April 1544 wurden diese zu einer Zwischenprufung durch den Reformator Augsburgs, Wolfgang Musculus, zurückgerufen. Diesem Schreiben war ein Brief an Melanchthon beigegeben, den dieser am 4. Mai 1544 mit einem Lob der Studenten beantwortete: „.... hab sie alle fünf uff gemelte e.w. (Euer Würdigkeit) Schrift für mich erfordert, ihnen e.w. Schrift, an sie haltend, überantwortet und ihnen bevolhen, etlich latinische schriften zu stellen, daraus ich ihre studia und besserung urteilen möcht, welchs sie gethan; auch hab ich micht von ihren sitten bei andern und nemlich bei Johann Baptista hentzel und bei Victorino erkundet, die ihnen gute zeugniss geben, dass sie züchtig und zu tugent geneigt sind. Nu fin ich ihre ingenia und studia also, dass ich sie alle fünf zun studien guter künsten tüchtig achte...“  Leider ist uns nur wenig über die gut dreijährige Studienzeit Kargs in Wittenberg überliefert. Es ist bekannt, dass er an der Beisetzung Martin Luthers am 22. Februar 1546 in der Schlosskirche zu Wittenberg teilgenommen hat. Seine „Wittenbergschen Tomis“, von denen er einmal spricht, müssen wohl verloren gegangen sein. Nur ein Tagebucheintrag beweist, dass er sich auch später noch eingehend mit Luthers Schriften beschäftigt hat: „Den 15. Dezember 1572 hab ich meit Register aufgemacht über die Schriften und Bücher Lutheri nach den Jahren geschrieben, samt den ausständigen Schriften Lutheri, die in meinen Wittenbergschen Tomis mangeln.“  Nach der kostspieligen Ausbildung, die der Rat der Stadt ihm finanziert hatte, konnte Karg mit einer festen Anstellung als Prediger rechnen. Durch Ratsdekret vom 22. Juli 1546 wurde er denn auch sogleich Dr. Wolfgang Musculus als Helfer (Diakon) am Dom zu Unseren Frauen zugeteilt. Hier hatte er die Mittwochs-Kinderlehren zu halten. Er galt als ein getreuer Schüler des Musculus der sich durch lebendige, wortgewaltige Predigten eines hohen ansehens beim Rate der Stadt und bei der Bürgerschaft erfreute. Ja, man schalt Karg sogar einen Machbeter des Musculus, der ihm in allem zu Gefallen sein wolle, wei er nach dessen Tochter ausschaue. Tatsächlich berichtet eine zeitgenössische Augsburger Chronik: „Der Karg solt sein, des Meisslins, Dochtermann werden.“ Es hat sich ein Brief vom 2. August 1547 erhalten, den der Reformator Martin Buzer (1491-1551) gleichermassen an Wolfgang Musculus und Johannes Parsimonius schrieb, worin zum ersten Mal die Latinisierung des Namens Karg vorkommt.  Die Reichsstadt Augsburg stand damals auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie hatte das beträchtliche Kirchen-vermögen eingezogen und besass die Steuerkraft ungewöhnlich reicher Handelshäuser. Jakob II Fugger (1459-1525) hatte das Kupfermonopol in Europa inne und betrieb mit riesigen Gewinnen den ostindischen Gewürzhandel. Keiser Karl V. schuldete ihm fast 2 Milionen Gulden. Bartholomäus V. Welser (1484-1561) befuhr mit eigener Flotte den Atlantik und nutzte Kolonisationsrechte in Südamerika. Der zu dieser Zeit vorwiegend protestantisch gesinnte Rat geriet freilich gegen-über  dem katholischen Kaiser nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg in arge Bedrängnis. Am 17. Mai 1548 wurde das sog. Interim verkündet, die einstweilige Religionsordnung des Kaisers bis zum Abschluss des Konzils. Es gestattete weiterhin die evangelische Rechtfertigungslehre, die Priesterehe und das Abendmal unter beiderlei Gestalt, doch mussten täglich Messe gelesen, Beichtmöglichkeit geschaffen, die Chorröcke der Geistlichen wieder eingeführt und Feier- und Fasttage eingehalten werden.   Um eben diese Zeit wurde in Augsburg der Dom Zu Unseren Frauen an die Katholiken zurückgegeben, wohl auf Anraten des versöhnlich gestimmten Philipp Melanchthon, wie dies auch in der Reichsstadt Frankfurt am Main der Fall war. Als Kaiser Karl V. zum Reichstag nach Augsburg kam, demonstrierte er vor den Bürgern bei der Fronleichnamprozession des Jahres 1548 in der Domkirche seinen katholischen Glauben, indem er 12 armen Männern die Füsse wusch und sie reichlich beschenkte, während in der Kirchen zu St. Anna und zu den Barfüssern die lutherischen Prädikanten wider die „Papisten“ predigten.  Die Ratsherren versuchten nun, Musculus dazu zu überreden, den Chorrock wieder anzuziehen und so nach aussen hin den Schein zu wahren. Musculus betrachtete dies jedoch als „eine Versuchung des Teufels“. Er halte nichts von denen, die sich zwingen lassen würden, das „Pfaffenkleid“ anzuziehen. Die Folge war, dass er mit seiner grossen Familie über Nacht Augsburg verlassen und in die Schweiz flüchten musste, wo er 1563 als hochgeachteter Professor der Theologie in Bern verstarb.  Johannes Karg hat seine „Bedenken gegen das Interim“ mutig am 10. Juli 1548 in einem vierseitigen Schreiben an den Rat der Stadt Augsburg niedergelegt. Es heisst darin u.a.: „Dann so in ein Prediger und Diener Christi soll sein, so muss ich auch lehren und predigen, wie mir mein Herr Christus befohlen hat. - Reine Zeremonien, so zur Auferbauung angerichtet sind, als zu Wittenberg oder Nürnberg, hab ich nie verachtet.“ - Aber zu solchen Zeremonien, die das alte Papstum wieder aufrichten, könne er sich nicht bereitfinden. Er wolle sich jedoch dem Rat gegenüber dankbar erzeigen, dass er ihn über sieben Jahre habe studieren lassen, und bitte, seine Gewissensentscheidung nicht als Ungehorsam auszulegen: „Man muss Gott mehr gehorsam sein, dann zu Menschen“ (Apostelgeschichte 5,29). - Er schloss mit der Bitte, ihn zu gestatten, dass er eine Zeitlang sich des Predigens enthalten und etwas anderes treiben dürfe. Am liebsten würde er auswärts weiter studieren.  Die kaiserlichen Räte in der Stadt forderten aber von Tag zu Tag immer drängender die energische Durchsetzung des Interims. Sie verlangten sogar eine Vereidigung der Prediger darauf, was Anton Fugger jedoch verhinderte. Am 28. Juli 1548 wurden alle Prediger vor den Rat der Stadt gerufen. Hans Welser, der Augsburger Vertreter der Nürnberger Welser-gesellschaft, der als Bürgermeister im Jahre 1537 noch zum letzten Schlag gegen Bischof und katholische Geistlichkeit ausgeholt hatte, ermahnte jetzt die Prädikanten, nach den Vorschriften des Interims zu handeln und warnte vor den gefährlichen Folgen für die Stadt, wenn die Prediger sich nicht gefügig zeigen sollten. Bei dem Gesprach wandte sich Bürgermeister Markus Ullstädt unwillig an Johann Karg: Der Rat sei über seine Starrköpfigkeit in einer solchen Kleinigkeit enttäuscht und sage ihm allen Schutz und Schirm auf. „Die Predicanten hend erst müssen von den Ratsherren lernen, was zur Seligkeit oder nit zur Seligkeit diene, dass sie’s dem Volck also fürtragen.“  So verliess nach Musculus auch Johannes Karg, als Maler verkleidet, 1548 Augsburg und erreichte am 7. August glücklich Basel, die von Johann Oecolampadius reformierte Stadt, die damals vielen um ihres Glaubens willen vertreibenen Zuflucht geboten hat.  Als darauf Vater Michael Karg Bürgermeister Ullstädt aufsuchte und ihn fragte, ob seinem Sohn nun der Schutz und Schirm der Stadt gänzlich aufgesagt sei, gab dieser die vielsagende Antwort: „Er hab die Meinung nit, dass ihm drumb Schutz und Schirm gar soll auffgesagt sein, man hab viel müssen thon, weil Kay. Maj. Hie sey gewesen, dass drumb jetzt nit auch also sein müsse, darumb reych es nit dahin, dass man ihm für und für Schutz und Schirm solt auffgesagt haben.“ - Die „Welserin“ (vermutlich die Frau des Ratsherrn Hans Welser, die der Familie Karg zugetan war) äusserte, dass der Rat eine hohe Meinung von Karg habe, seine willige Gesinnung gegenüber seiner Vaterstadt und seinen Bildungseifer anerkenne. Er könne einst der Kirche Gottes viel nutzen und solle dem Rat mitteilen, ob er in den Kirchenkienst zurückkehren oder einem anderen Lebensweg einschlagen wolle. Das Ratsprotokoll vom 20. September 1548 meldet: „Hans Kargen soll das jetzt verfallene Quatembergeld (37 1/2 Goldstücke) völlig geben werden und damit aller Ding abgefertigt sein.“  Hier ist es angebracht, einiges über die Augsburger Familie Karg einzuschalten: Die Augsburger Steuerbücher, die bis in das Jahr 1346 zurückreichen, erlauben nur, die männliche Linie Karg weiter zurück zu verfolgen, da in den Büchern zwar die Haushaltsvorstände, nicht aber deren Frauen und Kinder aufgeführt werden. Der Gorssvater unseres Johannes Karg, der Schuhmacher Conrad Karg, wohnte 1497 bei St. Antonino (es war dies die Bezeichnung für den Steuerbezirk 77 in der Oberstadt) und zahlte ausser den üblichen Kopfsteuern keine Vermögenssteuer, die nur bei Vermögen über 100 Gulden erhoben wurden. Als dessen Vater wird Luitpold Karg angesehen, der immerhin 1 Gulden Vermögenssteuer zahlte und 1472 gestorben sein muss. Dessen vater gleichen Namens wohnte sein 1416 „beim Haustetter Torhaus“ und hatte 3 Gulden zu entrichten. Er ist zweifellos identisch mit dem Brunnenmeister Leopold Karg „aus einem angesehenen und vermöglichen Geschlecht“, der im Jahre 1412 ein Wasserwerk erbaute, das mit 7 Rühren das Wasser beim Schibbogen in die Stadt leisten sollte, aber zu kostspielig ausfiel und keinen Nutzen brachte. Durch seinen darüber entstandenen Prozess mit der Stadt Augsburg verarmte er, was das Absinken seiner Nachkommen in die geringste Steuerklasse verständlich macht. Der sogenannte „Erste Zunftbrief“ der Stadt Augsburg vom 24. November 1368, der nach den Zunftunruhen den Bürgern mehr Einfluss auf die Besteuerung gegeben hat, trägt an einem Pergamentstreifen das Stadtsiegel sowie 29 kleinere Siegel, darunter das von „Her Liupolt der Karg“ neben dem von „her Hans der Welser“, was auf die einstige Bedeutung der Familie Karg hinweist.  Michael Karg hatte ausser dem Erstgeborenen Johannes noch zwei weitere Söhne, Joseph und Michael, die beide der Schuhmacherzunft angehörten. Aus ihren Briefen an den später berühmt gewordenen Bruder Johannes geht hervor, dass sie sich eifrig mit religiösen Fragen in ihrer Pfarrei St. Anna beschäftig haben, jener ehemaligen Klosterkirche der Karmeliter-Ordens, in der Martin Luther zu seiner Aussprache mit Kardinal Cajetan 1518 abgestiegen war. Auch an den Unruhen über die Einführung des Gregorianischen Kalenders waren Angehörige der Familie Karg beteiligt. Als der Rat der Stadt Augsburg am 5. Januar 1583 beschloss, anstelle des von Julius Cäsar geschaffenen Julianischen den Gregorianischen Kalender zu über-nehmen, der unter Papst Gregor XIII. Zum Ausgleich der allmählich gewachsenen Differenz zwischen bürgerlichem und astronomischem Jahr erarbeitet worden war (auf den 4. sollte der 15. Oktober 1582 folgen), entstand ein Volksaufstand. Die protestantischen Bürger sahen in dem „verflucht päpstischen Kalender“ den Versuch, die päpstliche Herrschaft durch eine Hintertür iwder aufzurichten. Besonders der Schwager von Joseph Karg, der Diakon an der Barfüsserkirche, M. Matthäus Herbst (1552-1595), ebenfalls Sohn eines Schuhmachers, wetterte polemisch gegen die „Verrückung der Feiertage“. Seine diesbezüglichen Briefe an Parsimonius liess dieser aber unbeantwortet. Er teilte jedoch seinem Bruder Joseph in einem langen Schreiben mit, dass er das „hitzige“ Verhalten vom Herbst verurteile. Aus einem Schreiben des Herzogs Ludwig von Württemberg an Parsimonius vom 20. Mai 1588 können wir entnehmen, dass letzterer mit „papistischen Stadtpflegern“ von Augsburg korrespondierte und ihnen angeblich Ratschläge erteile, was seine Gegner missdeuteten und ihm anlasteten. Unter Hinweis auf die Augsburger Konfession wurde Parsimonius ermahnt, sich des Schreibens und Ratens hinfüro zu mässigen“ und in Zukunft in dieser Sache nichts mehr ohne Wissen des Herzogs nach Augsburg oder einen anderen Ort gelangen zu lassen.  Der Maler Hans Karg, der im Jahre 1590 an der Ausmalung des Neuen Lusthauses in Stuttgart beteiligt war und bereits 1573 für Parsimonius die Wandgemälde in der neuen Abtei des Klosters Hirsau kleinformatig kopiert hatte, muss ein naher Verwandter von ihm gewesen sein. Dies beweist die Augsburger Heiratsurkunde vom 13. Februar 1572, in der der „Michael Karg der Ellter, Schuester“ als Beistand bei der Trauung des Malers Hans Karg angegeben ist. Dabei kann es sich nur um den Vater unseres Johannes Karg gehandelt haben. Der Exkurs über die Augsburger Familie Karg soll mit den Hinweis abgeschlossen werden, dass der aus Oettingen stammende lutherische Theologe Georg Karg (1512-1576), der sich ebenfalls Parsimonius nannte, nicht zu ihr gehört.  Über das Jahr 1549, das Johannes Karg im exil in Basel verbracht hat, wissen wir nur, dass er seinen Lebensunterhalt durch Privatsunden in Musik und Sprachen verdiente und daneben bei Professor Sebastian Münster (1488-1552) Hebräisch lernte. Dieser hatte wenige Jahre zuvor (1544) sein berühmtes Werk „Cosmographia“ in Basel herausgebracht, eine der frühesten Länder- und Völkerbeschreibung mit 26 neuen Landkarten, und war Herausgeber der ersten vollständigen Ausgabe der hebräischen Bibel (1534/35)  Nachdem sich die Lage in Augsburg entspannt hatte, kehrte Johannes Karg in seine Vaterstadt zurück und durfte dort mit Genehmigung des Rates eine lateinische Privatschule errichten, die gerne von den Söhnen des Patriziats besucht wurde. Am 28. Januar 1550 heiratete er Maria, die Adoptivtocher des Lateinischen Schulmeisters Menrath Vogt un der Clara Wolf aus Augsburg. Weil er jedoch seine Schule nicht nach den Vorschriften des Interims führte, wurde sie wieder geschlossen. Ende des Jahres 1550 verliess Johannes Karg seine Vaterstadt für immer. Auf der Flucht kam seine junge Frau in Leipheim bei Ulm mit einem Knaben nieder, den dort niemand taufen wollte. So reiste er weiter nach Tübingen, wo sein Jungendfreund Jacob Andreae das nun bereits 17 Wochen alte Kind auf den Namen Johannes taufte. Johann Melchior Sattler hebt in seiner „Historia Württembergica“ ausdrücklich hervor, dass sich „alle Anwesenden verwunderten“ weil die Mutter bei der Taufe dabei war, die bei der damals üblichen raschen Taufe gleich nach der Geburt sonst noch im Kindbett lag.  Die entscheidende Wendung in Kargs Leben brachte dann das Jahr 1552, in dem Herzog Christoph von Württemberg ihn in seine Kirchendienste berief. Sicher wird ihm der befreundete Jakob Andreae zu seiner ersten Anstellung als Oberdiakon an der St.-Georgen-Kirche in Tübingen unter Stadtpfarrer Johann Isenmann, dem späteren ersten Abt von Anhausen, verholfen haben. Doch wird auch berichtet, der Tübinger Universitätskanzler D. Jakob Beurlin und dessen Schwager, Dr. Matthäus Aulber d.J., hätten „ihn in seinem höchsten Elend als Fremdling in Württemberg aufgenommen“. Dabei kam ihm gewiss zustatten, dass Herzog Christoph zur Durchführung seiner Kirchen- und Schulreform aus Mangel an einheimischen Kräften eine ganze Reihe bedeutender Theologen aus Nachbarländern übernehmen musste.  Bereits im Jahr 1556 erfolgte Kargs Ernennung zum Spezialsuperintendenten und Stadtpfarrer in Blaubeuren. Aus dieser Zeit hat sich sein Lehrbuch „Rudimenta hebraeae grammaticae“ für den Gebrauch in der dortigen Klosterschule erhalten. Dort starb auch seine Frau nach glücklicher, siebenjähriger Ehe bei einer schweren Geburt, wobei das Kind Maria am Leben blieb. Schom im November 1557 heiratete er in zweiter Ehe Sara, die Tochter des Hauptmanns und Pulvermachers Johann Buck und seiner Frau Ottilie (1509 - 1587) aus Augsburg.  Als im Jahr 1558 Lukas Osiander (1534-1604) auf die Stelle in Blaubeuren kam, wurde Parsimonius Pfarrherr in Cannstatt und zugleich Spezialsuperindendent für Cannstatt, Weiblingen und Winnenden. Er hat am 19. Dezember 1559 das „Bekenntnis vom Nachtmahl“ mitunterzeichnet, das auf Veranlassung von Herzog Christoph auf einer Synode in Stuttgart im wesentlichen von Johannes Brenz formuliert und für die württembergischen Theologen als verpflichtende Norm herausge-geben wurde.  Herzog Christoph muss auf Karg und sein Wirken als Geistlicher aufmerksam geworden sein und Vertrauen zu ihm gefasst haben, sons hätte er in nicht 1559 zum Hofprediger nach Stuttgart berufen und zum herzoglich württembergischen Rat ernannt. Als solcher diente Parsimonius zehn Jahre lang, von 1559 bis 1569, dem Fürstenhause. Bei der Taufe seiner Kinder in der Stuttgarter Stiftskirche standen Angehörige der herzoglichen Familie (bei seinem Sohn Christoph der Herzog persönlich) sowie die Familie der Reformatoren Johannes Brenz und Matthäus Alber Pate. Seine Besoldung bestand in 160 Gulden und freier Behauseung, dazu erhielt er ein Kostgeld für den Tisch zu Hof und eine Anzahl Naturalien. Nebenher verdiente er sich noch Geld durch Anfertigung von Schriftstücken für reiche Stuttgarter Bürger. Auch hatte er den Kindern des Herzogenpaares Religionsunterricht zu erteilen, wobei er allem nach die Gunst der Herzogin Anna Maria, der Gemahlin Herzog Christophs, errang, die ihm zeitlebens besonders gewogen blieb.  Im Jahre 1561 erschien in Tübingen bei Ulrich Morhard Wwe. Parsimonius Lateinisch abgefasste Abhandlung über „Die wahre Gegenwart des Leibes und Blutes Christi beim Abendmahl“. Darin legte er zwölf Beweise für die Allgegenwart Christi vor. Im Abendmahlsstreit zwischen Lutheranern und Reformierten vertrat er nämlich die auch von Johannes Brenz und Jakob Andreae verfochtene „Ubiquitätslehre“ von der Allgegenwart Christi im Sakrament, über die sich Melanchthon dann abfällig äusserte. Aufsehen erregte in Parsimonius Schrift folgender Satz, der zu deutsch lautete: „Da wird jemand einwerfen: Auf diese Weise würde der Leib und das Blut Christi nicht allein in Brot und Wein des Abendmahls, sondern auch im Holz, im Stein, in der Luft, im Feuer, im Wasser, in Äpfeln und Birnen sein ?“ Noch im Jahr 1616 wurde dieser Satz in einer Dissertation zitiert und dem einflussreichen kursächsischen Oberhofprediger D. theol. Matthias Hoë von Hoenegg (1580-1645) vorgelegt, der dazu geäussert haben soll, solche worte würden „dem verstorbenen Parsimonio zur Ungebühr nach-gesagt“. Er wolle zum Beweis ein originales Exemplar dieser Schrift sehen. Calvinistische Kreise habe daraufhin die Schrift von Parsimonius im lateinischen Urtext zusammen mit einer Übersetzung ins Deutsche drucken lassen, „damit auch der gemeine Mann sich ein Urteil bilden könne“. Jöchers Gelehrten-Lexikon berichtet dazu, dass dieser Nachdruck dann konfisziert worden sei.  Als Luther-Schüler hat sich Parsimonius eingehend mit Ehefragen befasst, wie seine Abhandlung „Formae aliquot seu exempla benedicendi nuptias“ beweist. 1564 wurde er zusammen mit Johannes Brenz zu einem Gutachten aufgefordert, ob ein gewisser Berchtold Helmold aus Göttingen seine mit Margarete Dornamann eingegangene Ehe mit Gott und Ehren auflösen dürfe, nachdem er erfahren habe, dass sich schon vor der Ehe ein Kind geboren hatte, obwohl sie sich als eine ehrliche Jungfrau ausgegeben. Ein Satz seines Gutachtens hört sich für die damalige Zeit äusserst fortschrittlich an: „Wenn Unzucht, vor dem Ehestand begangen und erst nach vollzogener und ergänzter Ehe geoffenbaret, sollte die Ehe scheiden, so möcht sich ein Weib von ihrem Mann, von dem sie erfuhr, dass er im ledigen Stand hat Unzucht getrieben, und nicht Jungfrau  gewesst, gleich so wohl scheiden, als ein Mann von seinem Weib, die ledigen Stands hat Unzucht getrieben. Denn was sollt der Mann hierinnen mehr Vorteile haben denn das Weib ?“  Um das Jahr 1565 hat Parsimonius ein Manuskript „Vom Zinskauf“ verfasst, das er folgendermassen begann: „Es halten ettlich hoch und vil vom Luther, und wöllen vor andern gar gut Lutherisch sein. Aber da will ihnen der Luther nicht schmecken, dass er dem süssen Gewin so hefftig zu wider ist, und nicht allein den Geitz und Wucher schilt und verdampt, sonder tadelt auch den Zinsskauff.“ Er verteidigt darin Luthers Zinsfeindlichkeit und es ist in diesem Zusammenhang recht amüsant zu sehen, wie Parsimonius sich verhalten hat, als ein angeheirateter Verwandter, der Stuttgarter Kastkeller Joachim Lindlin (1505-1575, ihn im Jahre 1571 um ein Darlehen anging. Er antwortete zunächst hinhaltend, dass er kein müssig Geld liegen hätte und vor 3 Jahren in Stuttgart beim Ausleihen von Geld schlechte Erfahrungen gemacht habe. Damals hätte er sich vorgenommen, nimals mehr eine namhafte Summe auszuleihen. Schliesslich erklärte er sich aus schwägerlicher Liebe doch zu einem Darlehen von 350 Gulden bereit: „Und dörfe mir keinen Zins davon geben, dann ich Euch erneut mein Geld leihen und nicht verkaufen will. Doch weil wir alle in Gottes Hand stehen und unser keins weiss, wann er aus dieser Zeit erfordert wird, so versieh ich mich, dass ihr mir genügsame Versicherung dazu zun werdet, damit mir auf Martini, wie Euer Schreiben lautet, das geliehene Geld gewisslich und ohne allen Auszug, auch ohne miene Kosten und Schaden zugestellt und überantwortet werde.“ Parsimonius führte nun im einzelnen die Darlehenssumme in Ihrer Zusammensetzung in Talern, welschen Kronen, portugiesischen Dukaten mit ihrem Kurswert auf und betonte ausdrücklich, dass er die Rückzahlung im gleichen Gegenwert in Silber und Gold erwarte. - In eigener Sache hatte er also doch erkannt, welche Risiken das Geldaus-leihen mit sich bringen konnte und dass dabei Geldwertschwankungen mit in Betracht zu ziehen waren.  Von einem vertraulichen Gespräch, das Herzog Christoph am 22. Mai 1564 im Göppinger Schloss mit Parsimonius führte, gibt eine „Nota“ Auskunft: Der Herzog berichtet ihm, dass „etliche seiner Räte, sonderlich Hippolitus und Vicecancellarius“, anderer Meinung in der Frage der Kirchenvisitationen seien als er, der Herzog. Er übergab Parsimonius ein Schriftstück mit den „Bedenken“ der Räte und forderte ihn auf, ein Gutachten „unerschrocken darüber zu geben“. - Aus dem erhaltenen Konzept des siebenseitigen Gutachtens von Parsimonius geht hervor, dass er dem Fürsten riet, von einer Änderung der Grossen Kirchenordnung von 1559 und weiterer „Ordnungen“ abzusehen: „Man kann ja nicht alles bessern und gut machen, wenn man lang viel ordnet und visitiert, danach soll man tun flicken und bessern, was man kann, ja wie S. Paulus spricht: anhalten opportunus und importunus ...“ - Anderseits hielt er „Ordnung“ für wichtig: „Je grösser die Krankheit ist, je stärker und besser soll die Arznei sein. Hilfts’s, so ist’s gut, hilft’s nicht, so hat man doch getan, was man hat sollen tun und sind wir entschuldigt.“  Mit den Regierungswechsel nach dem Tod von Herzog Christoph im jahre 1568 hänt wohl auch der Wechsel im Hof-predigeramt zusammen. Aber der Herzog hatte noch zu seinen Lebzeiten angeordnet, dass Parsimonius wegen seiner vielen Kinder einmal eine Prälatur übernehmen solle. So waren ihm bereits in den Jahren 1564, 1566 und 1567 Prälaturen angeboten worden, worauf er nicht gefasst gewesen war, weshalb er sich ausgeschlagen hatte.


II

Nach der „Augsburger Konfession“ von 1530 durfte Herzog Christoph die geistlichen Güter nicht antasten. Noch im Jahre 1550 riet der Reformator Johannes Brenz, nichts an den Klöstern zu ändern, sondern das Tridentiner Konzil (1545-63) abzuwarten, auf dem er als Gesandter Württembergs die Verhandlungen führte. Am 8. Januar 1556 endlich liess Herzog Christoph die Äbte der 14 Mannsklöster nach Stuttgart kommen, um sie über den ursprünglichen Sinn des Klosterlebens und seine eigenen reformatorischen Absichten belehren zu lassen. Dabei opponierten nur die Äbte von Anhausen und St. Georgen. Es ist ungeklärt, ob  damals Johannes Brenz oder der Propst Ulrich Fehleisen von Denkendorf Herzog Christoph den Vorschlag gemacht hat, die herkömmlichen Formen des Klosterwesens in Württemberg beizubehalten, diese aber mit protestantischem Inhalt zu füllen. Herzog Christoph ist bei seiner Reform umsichtig vorgegangen und hat den bisherigen Mönchen und Nonnen auf Lebenszeit das Wohnrecht im Kloster zugestanden. So war z.B. der letzte katholische Abt Ludwig Velderer des Kloster Hirsau im Jahre 1559 Pate bei einem Kind des ersten evangelischen Abtes Dr. Heinrich Weickersreuter.  In einem seiner Ablehnungsschreiben an Herzog Christoph auf das Angebot einer Prälatur hatte sich Parsimonius zunächst überschwenglich dafür bedankt, dass der Fürst ihn bisher bei der Kirche zu Hof und in der Kanzlei „mit herrlichen Offizien und Benefizien begnadet und begabt“ habe und ihn jetzt auch noch höher zu fördern beabsichtige. Die Annahme einer Prälatur würde ihm gewiss mehr Zeit zum Studieren und zur Erziehung seiner acht Kinder lassen, doch habe er sieben grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Prälatenstad:

„1. Dann erstlich liegt mir immerdar im Sinn, dass S. Paulus vermahnet, wir sollen allen bösen Schein meiden. Dann es ist noch unvergessen, wie vor dieser Zeit die Papistischen Äbte und Prälaten unter dem Titel und Namen der Geistlichkeit und Gottseligkeit so über in den Klöstern und sonst in der Welt gehauset haben, nicht allein mit Abgötterei, Simonie und falschen Gottesdiensten, sondern auch mit prälatischer Würde, Majorität, Herschaft und Regierung, item mit weltlicher Pracht, faulem Leben, stetiger Wollust im Essen und Trinken, und zuvorderst in grosser Unwissenheit und Barbarei, darwider auch alle Welt und sonderlich die evangelischen Prediger und Kirchendiener gar heftig gepredigt, geschrien und geschrieben, und alles Klosterwesen für den höchsten Greul in der Welt verdammt haben.“

„2. Zum andern wehret mir auch der Spruch Christi >Vos autem non sic< gar heftig, die angebotene Prälatur zu bewilligen und anzunehmen. Die Äbte sollen höher, grösser und würdiger sein denn andere gemeine Lehrer und Prediger, die doch oftermal mehr gaben haben und auch mehr arbeiten dann etliche unter den Äbten, derhalben, so dünkt mich immerdar, das sei dem Prälatenstand zuwider und verbiete mir, solchen Stand anzunehmen.“

„3. Dann das stösst die leut heftig für den Kopf, dass die evangelischen Prediger sollen mit den päpstischen Dignitäten und Prälaturen umgehen, sollen die weltlichen Händel und Landsachen ausrichten, sollen ihnen die Untertanen steuern lassen, sollen in Klöstern haushalten, sollen die Gäste wohl empfangen und traktieren, auch jedermann, sonderlich denen vom Adel und den Hof- und Kanzlei-Verwandten gute Gesellschaft leisten, sollen auch imperium haben über das Klostergesind und Untertanen ... Der Herr Prälat hat Anderes und Nötigeres zu tun.“

„4. Durch die Prälaturen werden die Kirchen und Pfarren eröset und zerstöret werden, dieweil man feine Prediger und Kirchendiener von den Pfarren hinweg nimmt und stösst sie in die Klöster, da sie mit weltlichen Sachen sollen umgehen und daneben etlichem wenigen Klostervölklin predigen und auf etliche Klosterknaben ihre Achtung haben.“

„5. Sie werden durch die Klostergeschäfte und Prälatur-Händel am Studieren, Lehren und Predigen gehindert und weil sie Menschen sind sowohl als andere Leut, werden sie durch solche prälatische Würde und Majorität auch bei dem guten vollen Leben leichtlich zu Hoffart, Stolz und Pracht angereizt, gewohnen sich samt Weib und Kindern der Fülle und des guten Lebens, lernen nit hausen und ratsam sein.“

„6. Dann was Got nicht selbst geordnet hat, das kann nicht lange glückselig sein, und sobald die dignitates, maioritates und praeminentiae in die Kirchen kommen, so folgen demnächst allerlei Sünd und Unrat, wie man das nur all zuviel mit Schaden des Leibs und der Seelen bei unseren Voreltern erfahren hat. So ist Euer Fürstliche Gnaden und derselben frommer Prophet D. Joannes Brentius praepositus Stutgardianus nicht ein ewiges Licht, bei denen es jetzt durch ihre Autorität und Gottselig-keit von den Gnaden des Allmächtigen wohl und leidenlich stehet. Wie es aber bald hernach werde ergehen, das ist leichtlich zu erachten, dieweil sich schon auch jetzt der Unrat etlichermassen reget und ihrer viel auf diese Prälaturen wie Geier auf ein Aas warten.“

„7. Ich bin eben ein Dorf- und Bauern-Prediger, und weil mir meine Ringfügigkeit und Untüchtigkeit wohl bekannt, gedenke und begehre ich dabei zu bleiben und mein vertrauet Pfündlein mit Gottes Hilfe und Gnad nach meinem Vermögen anzu-legen. Dann ich bin doch nur darzu gesandt, und von meiner Jugend auf darzu gewidmet, dass ich soll das Evangelium predigen, nicht dass ich soll prälatisch herrschen und regieren oder mit fremden Sachen umgehen.“

Als der erste evangelische Abt des Klosters Hirsau, Dr. Heinrich Weickersreuter, am 8. April 1569 gestorben war, wurde Johannes Parsimonius trotz seiner Bedenken die Prälatur Hirsau übertragen, womit zugleich ein Sitz im württembergischen Landtag verbunden war. Seine Rechte und Pflichten wurden in dem „Begnadigungsbrief“ vom 16. Mai 1569 niedergelegt, den der Landhofmeister Hans Dietrich von Plieningen und der Kirchenratsdirektor Caspar Wild unterzeichnet hatten. Die feierliche Inauguration, bei der „Verehrungen“ nach alter Sitte gegeben wurden, fand am 4. Juni 1569 statt.  Als „Abt und Haupt des Kloster Hirsau“ hatte Parsimonius den Gottesdienst an der Klosterkirche St. Peter und Paul zu versehen, die „Lectiones Theologicas“ an der Klosterschule zu erteilen, die Aufsicht über die beiden Präzeptoren zu führen, auf die guten Sitten der Schüler zu achten, für das Klosers Hab und Gut zu sorgen und Augenmerk auf alle Klosterleute und Gäste zu haben, insbesonders aber auch die Wochenrechnungen des Klosterverwalters zu überprüfen und abzuzeichnen.  Hirsau gehörte neben Bebenhausen, Herrenalb und Maulbronn zu den vier höheren Klosterschulen des Landes, die bis zum Bakkalaureat führten. Eigens für den Untericht in Hirsau verfasste Parsimonius nun ein Rechenbuch „De Arithmetica“. Damit die Schüler mit offenen Augen und wachen Sinnen ihre Umgeburg betrachten lernten, wählte er unter anderen folgende Subtraktionsaufgabe: „Man liest an Türen und in der Kirche des Klosters Hirsau, dass des Kloster zu Sankt Aureli ist gestiftet worden, da man hat zählt nach Christi Geburt 830 Nun möcht ich wohl wissen, wie lang es jetzt und in diesem 1569. Jahr her war dass solches Kloster gestiftet worden?“ - Dass auch schon vor 400 Jahren die Schulbücher dazu benutzt wurden, um weltanschaulichen und politischen Einfluss auf die Jugend zu nehmen, beweisen einige Textaufgaben Parsimonius aus dem Papsttum oder aus dem herzoglichen Hofstaat. So lässt er die Schüler zusammenrechnen, wieviel Gulden der Papst durch Simonie aus allen Ländern eingehogen haben könnte, oder wieviel Gulden der Herzog von Württemberg für die Unterhaltung von Kirchen, Universität und Schulen, für die Kanzlei und für die Hofhaltung alljährlich auszugeben habe.  Besonders reizvoll ist sein eigenhändig bebildertes Gesangs-Lehrbuch, die „Teutsche Musica Parsimonij“. Die Abfassung in Form eines lebendigen Frage-und-Antwort-Spiels zeigt sein pädagogisches Geschick. Ihm geht es darau, dass das Singen Allgemeingut werde und nicht nur von den Wenigen ausgeübt werden kann, die die lateinische Sprache beherrschen. So versucht er, sich auf die nötigsten Begriffe zu beschränken, schwierige Gesänge, „die man bisweilen in den Kirchen figurieret“, wegzulassen und (ganz im Sinne Martin Luthers) Fremdwörter zu verdeutschen.  Auch um das Essen und Trinken der etwa 20 Klosterknaben musste sich Parsimonius kümmern, da ihm des öfteren geklgt wurde, dass die Knaben Fischsuppe, die übrigen Klosterangehörigen aber zu Mittag einen Braten bekamen. Gleich im Anfang seiner Prälatenzeit hatte er es mit einem Klosterpräzeptor zu tun, der im Verein mit dem Klosterverwalter die Knaben gegen ihn aufsässig machen wollte. Als er eines Nachts durch Lärmen und Schreien der Knaben geweckt wurde, eilte er im Nachtkittel in die Schule und wollte die Schüler beruhigen. Da stellte sich der Präzeptor zornig vor Parsimonius und rief: „Discipuli sunt mei, ego potestatem habeo in illos“ (Es sind meine Schüler, ich habe die Gewalt über sie). - Darauf antwortete Parsimonius: „Magister N. Disipuli etiam sunt mei et ego quoque potestatem in illos habeo et habeo quoque in te potestatem“ (Magister N.  Es sind auch meine Schüler und auch ich habe Gewalt über sie und ich habe auch Gewalt über dich). - Ein ander Mal kamen zwei Knaben zu ihm in die Studierstube und klagten, dass der Präzeptor M. Eusebius allen Knaben den Wein entzogen habe, weil einige von ihnen den Alt in einem Gesang nicht singen konnten. Parsimonius liess darauf den Präzeptor zu sich kommen und bedeutete ihm, dass er falsch gehandelt habe, „so ist doch nicht alle schuldig sind“. - Im September 1570 berichtete er verärgert nach Stuttgart, dass seine Schüler bis Mitternacht singen mussten, um den zur Visitation anwesenden Kirchenräten Johannes Enzlin, Matthäus Heller und Ludwig Hipp das üppige Nachtmahl zu verschönen.  Hatte Parsimonius in seinem froheren Schreiben an Herzog Christoph sich nur theoretisch mit den Prälaturen befasst, so bekam er jetzt am eigenen Leibe die Praxis zu spüren, die ihm in seinen ersten Amtsjahren durch die ständigen Zwistigkeiten mit den oft wechselnden Klosterverwaltern viel Kummer bereitete. Zuerst hatte er es mit dem selbstherrlichen Verwalter Ludwig Hipp zu tun, der es als ungehöriger Eingriffe in sein Amt betrachtete, wenn Parsimonius z.B. in dessen Abwesenheit den Knechten einen Trunk geben liess oder einen ungerecht bestraften Küchenbuben verteidigte. Als aber Parsimonius davon erfuhr, dass der Verwalter und der Forstmeister ohne sein Wissen Jagden abhielten, bei denen Hirsche und Wildschweine geschossen und heimlich verteilt wurden, dass man in den Klosterteichen Forellen fischte, ohne sie der Klosterküche zuzuführen und dass die Wochenrechnungen gefälscht waren, da wusste er keinen anderen Ausweg als nach Stuttgart zu reiten, um sich Rat bei dem Hofprediger M. Balthasar Bidembach (1533-1578) und dem Konsistorial-Sekretär Laurentius Schmidlin zu holen. Er erreichte zwar, dass Hans Braunstein als neuer Verwalter nach Hirsau kam, die Auseinander-setzungen um die Wochenrechnungen des Klosters gingen jedoch weiter, wei der bisherige Verwalter Ludwig Hipp als geistlicher Kammerat nach Stuttgart berufen wurde und nun von dort aus gegen ihn intrigieren konnte. Dieser hatte sich schon vorher das Wohlwollen der Stuttgarter Kanzleibeamten gesichert, indem er ihnen 14 Kloserkäse (Wert: 7 Gulden) schenkte.  In seiner Hofpredigerzeit in Stuttgart hatte sich Parsimonius das persönliche Vertrauen von herzog Christophs Gemahlin Anna Maria von Brandenburg-Ansbach (1526-1589) erworben. Sie wurde nach des Herzogs Tode 1568 Mitvormünderin ihres 14 jährigen Sohnes Ludwig. So ist es zu verstehen, dass sich Parsimonius bei seinen Scherereien mit den Klosterver-waltungen in vier Supplikationen hilfesuchen unmittelbar an die Herzogin-Witwe wandte, was ihm später als Umgehung des Dienstweges angelastet wurde Er meinte jedoch: „Wenn ein Schäflein, das von einem Wolf beleidigt ist, den Wolfen sein Leid klagt, dass es seltsamen Bescheid erlangen werde.“  Am 25. Januar 1571 durfte der Prälat im Stuttgarter Schloss seine vierte, 112 Folioseiten lange Bittschrift der Herzogin-Witwe vortragen, wobei der Kammersekretär Melchior Jäger (1544-1611) Vorleser war. Aufschlossreich sind die Zwischen-bemerkungen der Fürstin, die Parsimonius wie folgt festgehalten hat: „Da man las, wie M. Hans Enzlin den Hausknecht zur Stiege hinabwerfen wollte: „Ja, also visitiert man das Kloster!< - Da man las, wie der Verwalter unter der Predigt gefischt habe: >Das hat man getan, damit der Abt nicht wisse, was man macht.< - Da man las, wie der Verwalter den tagelöhnern einen Pfennig am Löhn abgezogen hat: >Damit ja die Armen arm und die Reichen reich bleiben.<„ - Am Schloss der Unterredung bedankte sich Parsimonius bei der Fürstin in der Hoffnung auf einen gnädigen Bescheid, worauf sie anfing, >herzlich zu klagen<, wie es mit Vögten und anderen im Land so übel zuginge. Sie hätte erst heute zu ihrem Sekretär gesagt: >Es gehet dem Abt von Hirsau mit seinem Verwalter eben wie mir mit meinem N. Man wird wohl sehen und erfahren, wie es mit den Kirchen und Schulen, auch mit den Äbten und Prediger, gehen wird, wenn ich nimmer bin und nimmer selbst dazu siehe. Man will mir immerdar Schuld geben, ich wolle die Kirchengüter verändern und an mich ziehen. Man tut mir unrecht, Sie tun’s selber!“ Diese freimütige Äusserungen der Herzogin-Witwe sin im Zusammenhang mit der ihr nachgesagten Geistesschwäche bemerkenswert. Am 20. Juli 1571, am gleichen Tage, an dem Herzogin Anna Maria der Vormundschaft entsetzt, in den Kirchen des Landes der Fürbitte der Gemeinden empfohlen wurde, worauf ihr Sohn, Herzog Ludwig die Regierung antrat, erhielt Parsimonius einen strengen Befehl aus Stuttgart, seine Unterschrift unter die Wochenrechnung nicht zu verweigern. Als sich die Verhältnisse auch bei dem neuen Verwalter nicht besserten, dieser u.a. in Gegenwart des Klostergesindes Parsimonius höhnisch einen „Schuhmachers-Sohn“ nannte, den Torwart anwies, Bittsteller, die den Abt sprechen wollten, nicht ins Kloster einzulassen, bei den Wochenrechnungen für sich selber weder Brot noch Wein noch Lichter, dem Abt aber alle Tage ein Mass Wein und einen halben Laib Brot aufschrieb, - da wandte Parsimonius sich an den jungen Herzog mit der Bitte um Abhilfe. Am 16. Mai 1572 traf dieser mit Gefolge im Kloster Hirsau ein. Unter dem Vorstiz des Statthalters, Graf Heinrich zu Castell, fanden in der alten Abtei für Parsimonius aufregende Verhandlungen statt. Dabei wurde ihm ein abgeänderter „Abtey-Staat“ vorgelegt, in dem die ihm 1569 zugestandenen Aufsichtsrechte über die Klösterhaushaltung eingeschränkt wurden und der Verwalter in die Stellung eines Kirchenratsbeamten aufrückte. Gleichzeitig wurde als neuer Verwalter Georg Deublin eingeführt, der zwar feierlich versprechen musste, dem Abt als Haupt des Klosters Reverenz zu erweisen, der dann später aber doch mit besonderem Eifer seine neuen Rechte gegenüber den Gewohnheitsrechten des Prälaten wahrgenommen hat.  „Rectum et integrum“ (25. Psalm) also „Schlecht und recht“, was heute „Schlicht und gerecht“ heissen muss, ist der Wahlspruch von Johannes Parsimonius gewesen. Wir werden Verständnis dafür aufbringen, dass ein mit so hohem Gerechtigkeitssinn ausgestatteter Mann einige Jahre gebraucht hat, zu lernen, vor den Kirchenräten in Stuttgart zu Kreuze zu kriechen und trotz seines geleisteten Eids die Wochenrechnungen des Verwalters einerseits auf ihre Richtigkeit zu über-prüfen, andererseits aber sie - auch bei offensichtlichen Fehlern - nur noch formal zu unterschreiben. Freilich ist dabei zu bemerken, dass Frau Sara Parsimonius manche Mitschuld an den Streitigkeiten im Kloster anzulasten ist. Zum Unterschied von den früheren katholischen Äbten hatte der evangelische Prälat für eine meist kinderreiche Familie zu sorgen, was Herzog Christoph bei der Umwandlung der Klöster noch nicht in Rechnung gestellt hatte. Der Abthaushalt von Parsimonius bestand aus 20 Personen, die ernährt und gekleidet sein wollten. Hierzu reichte aber das Prälatengehalt von 220 Gulden im Jahre zuzüglich Deputaten kaum aus. So war die Hausfrau nicht böse darüber, wenn ihr gelegentlich aus der Klosterküche oder vom Kellermeister etwas über das Mass hinaus „zugestossen“ wurde. Im Streit mit dem Verwalter setzte sich durch, dass sie einen Bienenstand für sich und einen Schafstall für ihre Kinder im Kloster errichten lassen durfte. Bei einem „wilden Katzbalg“ mit dem Verwalter um die Anlegung eines Gärtchens kehrte sie herrisch die „Frau Prälatin“ heraus, sehr zum Unwillen ihres Mannes, der gerade in Stuttgart darüber klagte, dass der Verwalter Äcker und Wiesen des Klosters eigenmächtigfür sich und die Seinen nutzen würde. Auch sonst lebte sie ständig in Unfrieden mit den Mägden und fiel selbst ihrem Mann ins Wort, wenn dieser mit seinen Kindern und Gesinde einee Hausandacht hielt. - Das Kloster Hirsau war ein Anziehungspunkt für Verwandte und Bekannte: Studenten aus Tübingen, ehemalige Klosterschüler, nach Wildbad durch-reisende Badegäste machten dort gerne Halt, weil jeder hier gastlich bewirtet wurde und wohl selten ohne ein Gastgeschenk weiterzog. Dabei konnte leicht Streit darüber entstehen, was althergebrachte „Verehrungen“ auf Kosten des Klosters waren und was der Abt aus seinem Gehalt zu zahlen hatte. Er musste selber für das Studium seiner Kinder, für die Aussteuer seiner Töchter, für die Unterstützung seiner Eltern, für den Kauf von Büchern, Arzneien, Hausrat und Kleidung aufkommen. Seine Hausfrau war Pate bei 33 und er selbst bei 49 Kindern, die alle Anspruch auf ein Patengeschenk hatten.  Eine 461 Folioseiten umfassende Rechtfertigungschrift mit einem 20seitigen Register sandte Parsimonius am 17. November 1572an die Äbte Johann Magirus in Maulbronn (1567-78), Georg Udal in Lorch (1563-76) und Christoph Binder in Adelberg (1565-96), die mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Darin zählte er in breiter Ausfühlichkeit chronologisch alle Ereignisse auf, die zu den Zwistigkeiten mit den Verwaltern geführt hatten und Schloss resignierend: „Dann diese Gesellen, die also über mich schreien, wöllen kurzum nur einen solchen Abt haben, der fromm und demütig, das ist blind,taub, stumm und aller Dinge sinnlos und herzlos seie, nichts sehe, nichts höre, nichts rede, nichts rieche, nichts schmecke, nichts empfinde und nichts denke, sondern schweige, unterschreibe und leide, und hüte sich, dass er weder achte, forsche, noch berede, was die Verwalter machen, wie sie mit dem Kirchengut und allen Sachen umgangen.“ - Dieses Zitat ist zugleich ein treffende Beispiel für den Schreibstil von Parimonius, der wortreich und oft weitschweifig war. Er liebte das griechische „hen - dia - dyoin“, die Bezeichnung einer Sache mot zwei oder noch mehr Worten.  Dr. Lukas Osiander d.Ä. (1534-1604), der Parsimonius’Stelle als Hofprediger in Stuttgart übernommen hatte, beschwichtigtediesen in einem Schreiben vom 16. August 1573 und bat ihn, in den Streitigkeiten mit dem Klosterverwalter „schiedlicher und friedlicher“ zu sein und, wenn freundliche Aussprachen nichts nützten, die Sache „mit christlicher Sanftmut und Bescheidenheit“ zu tragen und zu überwinden. Osiander tadelte aber auch, dass Parsimonius „alle, auch sehr geringe Sachen, alsogleich aufzeichnet und protokolliert, als ob es Glaubens- oder Reichssachen wären“. Von Lukas Osiander d.Ä. sind zahlrieche gedruckte Predigten aus Anlass von Familienereignissen im herzoglichen Hause überliefert. Nach der Regierungsübernahme durch Herzog Friedrich I. wurde er 1596 Abt zu Adelberg, aber bereits 1598 wegen seiner freimütigen Äusserungen vom Herzog in Ungnade entlassen.


III  


In seinem letzten Lebensjahrzehnt zog sich Parsimonius in seine Studierstube zurück und verfasste mit ungeheurem Fleiss historische Werke, zu denen ihm die damals noch gut erhaltene Klosterbibliothek mit ihren kostbaren illuminierten Hansschriften der Hirsauer Schreibschule des 12. Jahrhunderts zur Verfügung stand. Es war vielleicht eine Art Flucht in die Arbeit, weil die Familie Parsimonius in jenen Jahren von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht wurde: Der hoffnungs-volle Sohn Michael, der noch kurz vorher seinem Vater in einem Brief aus Tübingen von neusten Nachrichten aus Konstantinopel über die Versuche einer Wiedervereinigung mit der orthodoxen Kirche berichtet hatte, starb 1578 im Alter von 19 Jahren, einige Wochen nach Erlangung der Magisterwürde. Zwei Jahre später wurde der sechsjährige Sohn David aus Versehen auf der Jagd erschossen, und nur wenige Tage darauf starb der Sohn Christoph, das Patenkind von Herzog Christoph von Württemberg, im blühenden Alter von 15 Jahren. 1585 ereilte das gleiche Schicksal den unverheirateten Sohn M. Johannes Christoph, zuletzt Klosterpräzeptor in Herrenalb.

Das in den Jahren 1576-1579 verfasste Hauptwerk von Parsimonius trägt den Titel „Onomasticum historicum“. Dieses historische Wörterbuch ist ein weltgeschichtliches Reallexikon von 3239 eigenhändig geschriebenen Folioseiten, die heute in vier Pergamentbänden in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel verwahrt werden. Das nun über 400 Jahre alte, in Latein abgefasste Werk ist noch kaum eingesehen, geschweige denn wissenschaftlich ausgewertet worden. Es enthält tabellarische Zusammenstellungen der herrscher aller abendländischen Völker, dazu Aufstellungen über berühmte Philosphen, Dichter und Staatsmänner, vor allem aus dem ägyptischen, griechischen und römischen Kulturkreis, darunter allein eintausen Folioseiten „Series Consulum Romanorum“. Der gewaltige Umfang des Stoffes, den Parsimonius hier zusammengetragen hat, lässt sich nur andeuten.  Parsimonius ist in viele biographische Nachschlagwerke aufgenommen worden, wobei immer wieder erwähnt wird, dass von seiner Hand 12 Bände in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel verwahrt werden. Da diese Bände aber von den betreffenden Autoren nie eingesehen wurden, ist die irrtümliche Ansicht entstanden, sie alle enthielten Forschungen zur Hirsauer Geschichte. Tatsächlich befasst sich nur ein Pergamentband (cod. Guelf.134.1 Extrav.) mit der Beschreibung der Wand- und Fenstergemälde des Klosters Hirsau, wovon sich ein flüchtige Abschrift von Martin Crusius und eine weitere Abschrift von einem Klosterschüler in der Universitätsbibliothek Tübingen befinden. In dem Sammelband der Württembergischen  Landesbibliothek Stuttgart (Cod.his. Q 198) ist die von Parsimonius’eigener Hand verfertigte deutsche „Abschrift des Gemelds in der Kirchen zu Hirsaw im Kloster 1579“ eingebunden. Die übrigen 11 Folianten in Wolfenbüttel, die teilweise mit Pergamenthandschriften des 14. Jahrhunderts  überzogen sind, enthalten seine beiden Geschichtswerke, dazu Protokolle, Tagebücher und Abschriften von abgesandten und empfangenen Briefen.  Im Jahre 1584 begann Parsimonius mit dem Sammeln von geschichtlichen Ereignissen und Daten bis zum Jahre 140 n. Chr. für seine 1200 Folioseiten umfassende „Chronologia“. Martin Crusius zitierte 1595 in seinem „Annales Suevici“ dieses Werk folgendermassen (in der Übersetzung von Johann Jakob Moser): „Es meynet aber Johann Parsimonius, der Hochwürdige Abbt des Klosters Hirschau, Christlichen Angedenckens, in seiner Zeitrechnung, die er mit grossem Fleiss geschrieben, aber nicht gedruckt worden ist, dass unser Heyland in dem Anfang seines 33. Jahres gestorben, also dass er sein Amt 3 Jahre und etliche Monath verrichtet.“ Das Autoren- und Bücherverzeichnis, das Parsimonius für seine „Chronologia“ angefertigt hat, zeigt und, aus welchen Quellen er seine Daten und Fakten schöpfte. Aber erst wenn der in Bearbeitung befindliche Hirsauer Bibliothekskatalog gedruckt vorliegt, lässt sich näher untersuchen, wie verlässlich die Quellen waren und wie kritisch sie von Parsimonius übernommen wurden.  Mit besonderer Aufmerksamkeit hat er sich um die Geschichte des Kloster Hirsau bemüht. Es ist sein grosses Verdienst, dass er uns die Beschreibung der Gemälde, die zu seiner Zeit noch in den Kirchen, Refektorien und übrigen Klostergebäuden zu sehen waren, überliefert hat. Es ist bekannt, dass Abt Johann III. In den Jahren 1530-34 den feierlich-erhabenen Raum der mächtigen Klosterkirche zu St. Peter und Paul mit Wandgemälden hat schmücken lassen. Besonders eindrucksvoll muss die Darstellung des Himmelreiches gewesen sein, die an der Ost-,Nord- und Südwand des „inneren“, d.h. des eigentlichen Chores zu sehen war. Über dem Hochaltar die Heilige Dreifaltigkeit: Gott Vater, thronend über der Weltkugel, mit dem Sohn und dem Heiligen Geist, links davon die Jungfrau Maria, zu beiden Seiten der Weltkugel Moses mit den Gesetzestafeln und Johannes der Täufer sowie die Evangelisten, darüber Engel und himmlische Heerscharen. Parsimonius hat das Wandgemälde genau beschrieben und dazu eine Zeichnung angefertigt, so dass wir heute auf eine Ähnlichkeit dieses Bildes mit dem in Wien befindlichen „Allerheiligen-Altar“ (1511) von Albrecht Dürer schliessen können.  Martin Crusius erwähnt in seinen „Annales Suevici“, dass er seine Kenntnisse vom Kloster Hirsau seinem Freund Parsimonius verdanke. Aus einem letzten Brief von diesem an Crusius vom 23. März 1588 erfahren wir, dass er zwar die damals noch vorhandenen Gemälde und Baudenkmäler des Kloster Hirsau gewissenhaft beschrieben hat, dass aber sein Angaben über die Geschichte des Klosters Hirsau nur aus gedruckten Quellen stammen. Er teilt mit, dass die Handschrift zu den berühmten „Annales Hirsaugienses“ (1514) des Sponheimer Abtes Johannes Trithemius nicht in der Klosterbibliothek, sondern auf der Tübinger Burg läge: „... Quod ego nunquam vidi / quamvis eius videndi desiderio multis iam annis vehemmentar flagraverim.“ (... Ich habe sie niemals gesehen, obgleich ich seit vielen Jahren sehnlichst danach verlangte, sie zu sehen.)  Der unter dem bedeutenden Hirsauer Abt Wilhelm und seinen Nachfolgern im 11. Und 12. Jahrhundert erbaute romanische Kreuzgang wurde unter dem baulustigen und prachtliebenden Abt Blasius (1484-1503) und dessen Nachfolger Abt Johannes II. (1503-1524) in gotischen Formen erneuert. Wie kein anderes Kloster in Württemberg hat der Kreuzgang, dessen Aussenmauern als Ruinen auch heute noch die einstige Schönheit erahnen lassen, die ungewöhnliche Grösse von  38 x 29 m im Quadrat, abgesehen von einer rechtwinkligen Einbiegung an der Nordostseite, bedingt durch die Anfügung des Kreuzganges an die Peter-und-Pauls-Kirche.  Es war zweifellos der schöpferische Gedanke des Abtes Blasius (Schöllraub) gewesen, die 40 Fenster des Kreuzganges mit Glasgemälden zu schmücken und dabei als Vorlage genau die 40 Holzschnitte zu verwanden, die in den im 14. Und 15. Jahrhundert gedruckten Blockbüchern der Armenbibel oder Biblia pauperum zu finden waren. Dieser mittelalterliche Bilderzyklus eignet sich thematisch vorzüglich für die Kreuzgangfendster in Hirsau, wei er in einer stets gleichen Rahmenarchitektur in leicht fasslicher Weise und in knappster Form das Leben Christi von der Geburt bis zum Tode erzählt.  Nach der Zerstörung des Klosters am 20. September 1692 durch die Truppen des französischen Generals Mélac und der daran anschliessenden Ausschlachtung der Ruinen für den Wiederaufbau der Stadt Calw ist von den Kreuzgangfenstern-ausser einer Sammelscheibe und Schriftfragmentscheiben im Klostermuseum Hirsau - nor noch das Mittelstück des 22. Fensters „Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld“ der Vernichtung entgangen. Es war noch im Jahre 1844 in einem Fenster der Wirtsstube „zum Hirsch“ in Hirsau zu sehen und konnte 1907 vom Württembergischen Landesmuseum erworben werden.  Mit dem Ausruf „Vitrea fracta!“ beginnt Gotthold Ephraim Lessing, damals Bibliothekar an der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, schwungvoll seine Erörterungen über die „Ehemaligen Fenstergemälde im Kloster Hirschau“ (1773). In seiner Bibliothekkonnte er sowohl die Handschriften des Parsimonius als auch Exemplare der Biblia pauperum einsehen. Er war es dann auch, der als erster Forscher den Zusammenhang zwischen den Darstellungen auf den Glasgemälden des Hirsauer Kreuzganges mit den Holzschnitten der Biblia pauperum entdeckt hat. In scharfsinnigen Überlegungen und Vergleichen hat er den Beweis erbringen wolen, dass die Holzschnitte der Biblia pauperum nach den Glasgemälden des Klosters Hirsau hergestellt worden sind. Heute wissen wir aus der Baugeschichte des Klosters, dass die Holzschnitte wohl über ein halbes Jahrhundert älter sind als die Hirsauer Glasgemälde. Hier irrte Lessing. Dennoch sind seine Ausführungen auch heute noch spannend zu lesen, weil er uns seine Denkanstösse frisch und fröhlich miterleben lässt und gar freundliche Wort für Parsimonius findet: „Endlich erinnerte ich mich glücklicher Weise, dass unsere Bibliothek verschiedene Hand-schriften von einem der Lutherschen Aebte verwahre, der dem Kloster Hirschau in der letzten Hälfte des sechszehnten Jahr-hunderts vorgestanden: nehmlich von dem D. Johann Parsimonius, oder, wie er mit seinem Deutschen Namen hiess, Karg. Zu diesen nun verfügte ich mich; und wie gross war meine Freude, als ich darunter ein Band antraf, der nicht allein mancherley Dinge zur Geschichte des Klosters Hirschau enthält, sondern, unter diesen Dingen auch sogar etwas fand, das mir mit eins so vollkommende Gnüge leistete, als ob ich es mir, wie man sagt, bestellt hätte; als ob es der ehrliche Karg, vor zweyhundert Jahren, in einem prophetischen Geiste, ausdrücklich für mich zu meinem gegenwärtigen Behufe geschrieben hätte.“


*


Nach dem Tode von Johannes Parsimonius am Heiligen Abend des Jahres 1588 ist sein umfangreicher Nachlass zunächst in die Hände seines mit der jüngsten Tochter Judith (1576-1619) verheirateten Schwiegersohnes M. Wilhelm Gmelin (1573-1635) gelangt. Dieser hat empfangene und abgesandte Briefe, Predigten, Tagebücher, Protokolle, auch Abschriften von fremder Hand, zusammenbinden lassen und oft sein Ex libris mit der Wolfsangel und den hier wiedergegebenen Bildnis-Holzschnitt von Parsimonius eingedruckt. Dessen wichtige Handschrift über das Kloster Hirsau hat er mit eigenen Nachrichten über das Kloster Bebenhausen fortgesetzt. Die im Kriege verbrannte Stuttgarter Handschrift Nr. 60 hatte M. Joseph Gmelin (1638 in Erbstetten und Matthäus Esenwein, Abt in Hirsau, (1672) als Vorbesitzer. Der grösste Teil der Handschriften gelangte als Geschenk Johann Jakob Mosers in die Herzog August Bibliothek nach Wolfenbüttel.  Die Parsimoniussche Grossfamilie bietet ein Musterbeispiel für die Verquikung von Familientradition und Kirchen-ämtern, wie sie sich im Herzogtum Württemberg im 16. Und 17. Jahrhundert herausgebildet hat. Das führte im guten Sinne zu einer gewissen Stetigkeit der theologischen Entwicklung, doch hatte die Verteilung der Pfarrstellen und der höheren kirchlichen Ämter nur unter die weitverzweigte schwäbische Verwandschaft auch ihre Schattenseiten. Ein Grossteil der Briefe, die Parsimonius im Laufe seiner Prälaturzeit geschrieben hat, sind sogenannte Unterschreiben an den Gnädigen Fürsten und Herren, d.h. befürwortende Empfehlungsschreiben, die der Bittsteller um eine Pfarrstelle seiner Supplikation an den Herzog beigefügt hat.  Die unübersehbare, grosse Nachkommenschaft von Johannes Parsimonius ist noch nicht vollständig erforscht. Das mag daran liegen, dass die männlichen Namensträger bald ausgestorben sind. Am Beispiel der Deszendenz seiner Engelin Sara Gmelin (1607-1676), die mit dem Bebenhäuser Klosterpräzeptor Georg Linde verheiratet wr, soll die Vererbung seiner Gaben und die Weitergabe seiner Ämter über die weiblichen Linien duetlich gemacht werden: Deren Tochter Anna Katharina Linde war mit dem Stifter des Hochstetterschen Stipendiums, Prof. Dr. Theol. Johann Andreas Hochstetter, zuletzt Prälat in Bebenhausen, verheiratet. Dessen drei Söhne waren Theologen in Tübingen, Prälaten in Herrenalb und Bebenhausen. Deren Schwiegersöhne waren Johann Valentin Harpprecht, Prälat in Maulbronn, und Wilhelm Gottlieb Tafinger, Prälat in Adelberg, zuletzt Stiftsprediger in Stuttgart.  Parsimonius’ jüngste Tochter Judith, deren Grabplatte sich an der Klosterkirche zu Bebenhausen befindet, wurde die Stamm-Mutter der Oberbadischen, Stuttgarter und Tübinger Linien der weitverzweigten Familie Gmelin, aus der bedeutende Theologen, Juristen, Mediziner und Naturforscher hervorgegangen sind. Zählt man die Nachkommenschaft in weiblicher Deszendez hinzu, so wird deutlich, dass Johannes Parsimonius heute noch im Blute ungezählter Menschen weiterlebt.


Quelle: Sonderdruck aus Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, herausgegeben von Robert Uhland, 15. Band der als Schwäbische Lebensbilder eröffneten Reihe mit 18 Abbildungen. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 1983